Dunkle Tage

Schildert Erlebtes oder berichtet über Abenteuer aus der Sicht Eures Charakters.

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Celestiel
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Dunkle Tage

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I. Traurige Kunde

>>Was tun, wenn ein Teil deines Herzens wegbricht? Stehst du gerade und wirst dem Schmerz trotzen? Oder lässt du dich von ihm wegtreiben? Ein schnellend, reissender Fluss, der tosend über dich hereinbricht und dich mitreissen wird, an einen Ort, wo keine Menschenseele auf dich warten wird. Ja, du wirst allein sein, mit dem Wissen, dass nach deinem Fall niemand mehr da sein wird, der dich auffangen kann. Denn dieser jemand - er ist hinfort.<<

Innerlich wusste sie es bereits, als sie das Wappen Gondors in seinem Waffenrock eingestickt sah. Mit ihrem tapferen Lächeln schien sie jedoch zu versuchen ihre innere Gewissheit herauszufordern, zu einem Kampf, den sie nimmer gewinnen konnte. Regungslos und stumm beobachtete sie wie der Bote stramm das Pergament aufrollte und in monotoner Stimme vorzulesen begann:
"Wir bedauern zutiefst Euch mitteilen zu müssen, dass Euer Gemahl und unser treuer Kamerad Hauptmann der zweiten Verteidungswall Taldaras Arnum im Kampf um die Verteidigung Gondors gefallen ist. So möchten wir unser tiefstes Bedauern aussprechen. Gondor hat einen tapferen Sohn und Krieger verloren. Doch war sein Tod nicht vergebens, diente jener doch einem höherem Zweck. Mögen seine ruhmreichen Taten, sein Opfer nicht in Vergessenheit geraten und sein Mut auf uns alle übergehen. Gezeichnet Bentalas Jorsan, Feldherr der vierten Verteidigunswall, Minas Tirith."
Sie sah die Blicke nicht, die in stummer Trauer zu Boden sanken. Sie nahm nicht wahr, wie Grisgrim in die Halle stürmte. Sie hörte das Schluchzen von Kanwyn nicht, ebenso wenig wie sie hörte, dass der Krug aus Kanwyns Händen glitt und scheppernd auf den Boden knallte, um dort in unzählige Stücke zu zerbrechen. Sie bemerkte nicht einmal, dass ebendies auch mit ihrem Herz geschah. Es zerbrach, wurde von einer unsichtbaren Klaue zerquetscht, die sich fest um ihr Herz drückte. Vom Schicksal eingeholt und gemeistert, zu Boden gedrückt und mit Tritten gepeinigt.
"D-das...das ist doch Unsinn! Das kann nicht sein...Taldaras ist in Gondor, bei den Letzten seiner Familie!"
Celestiel begann hektisch um sich zu blicken, suchte mit ihrem Blick fieberhaft nach der Bestätigung, die sie in ihrem Innern misste. Ihre Züge resignierten ob der Verzweiflung, die von ihr Besitz ergriff, als rundherum nur stummes Kopfschütteln sie erwartete. Der menschliche Verstand spielte ihr Streiche, wollte nicht erfassen, was längst geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen war. Und doch hielt sie an einem irrwitzig kleinen Funken Hoffnung fest, der einfach nicht weggefegt werden wollte.
"Hîriel, ich bitte Euch. Kommt einen Moment mit hinaus an die frische Luft, das wird Euch gut tun und keiner sieht die Trauer einer aufrechten Dame."
Die Trauer dreier Zeitalter schien aus Cerains Stimme zu sprechen, die ruhig und besänftigend an ihre Ohren drang und sie langsam aus ihrer Starre löste. Ihm wurde ein Blick zuteil, dem Unglauben innewohnte. Unglauben darüber, dass all dies wirklich geschehen war. Dass man sie eines Menschen beraubt hatte, mit dessen Wegsterben ebenso ein Teil ihres Herzens verdorrte. Ein Gefühl machte sich in ihrem Bauch bemerkbar, das Wut gefährlich nah' kam. Aufrecht? Oh ja, sie stand aufrecht, doch konnte man schwerlich übersehen, dass sich jede Sehne in ihrem Körper dem Schmerz unterwarf, wie alles in ihr nachgab. Was bliebt war ein kümmerliches Abbild ihrer selbst. Sie driftete ab in einen Strudel an hereinbrechenden Gefühlen, unfähig alle Geschehnisse klar zu erfassen. Nur bruchstückhaft konnte sie sich später an diesen Abend erinnern.
Grisgrim wie er um Verzeihung bat und dann zusammenbrach, wohl weil die vergangenen Wochen in einem solchen Mass an ihm genagt hatten, dass er von einer Müdigkeit übermannt wurde, die kaum von körperlichen Strapazen herrühren konnte. Raythir wie er plötzlich in der Halle auftauchte und sie nur das Blitzen seiner Hellebarde sah. Wie sie ihn angeherrscht hatte, er solle diese verdammte Waffe unverzüglich rausschaffen. Sie selber wie sie wutentbrannt die zwei gekreuzten Klingen von der Wand gerissen hatte, als wären es jene Waffen gewesen, die Taldaras den Tod gebracht hätten. Gedankenfetzen, wirr aneinander gereiht und kaum zu ordnen, selbst dann nicht, als sie das Sippenhaus schliesslich verlassen und in Bree Zuflucht vor ihrem verfolgenden Schmerz gesucht hatte.

Das Treiben auf den Strassen war nur gedämpft zu hören, so sass sie weit oben auf dem hölzernen Treppensteg, der in Bree unter dem Namen 'Gelehrtentreppe' bekannt war. Fest presste sich ihr Rücken gegen den kühlen Stein des Gemäuers, die Arme fest um ihre angezogenen Beine geschlungen. Ein verängstigtes Reh, flüchtend vor den Schrecken des Waldes.
Zuflucht. Suchte sie diese wahrlich in Bree? Entsprangen die Tränen zuvor noch Trauer, so war nun eine unverhoffte Verzweiflung die Quelle des salzigen Nasses, das sich in filigranen Silberstreifen über ihre Wangen zog. Rastlos war sie geworden, drängte etwas in ihr doch immerzu nach einer Suche, deren Fund ihr wohlbekannt war, doch dem sie ausweichen wollte. Eine ruhelose Seele, die es zu einer nicht minder rastlosen Seele trieb, wohl wissend, dass sie auf ein Unheil zusteuerte, wenn sie diesen Jemand wiedersehen würde. Das Herz in zwei Teile gerissen. Der eine weggebrochen, der andere schon lange nicht mehr in ihrem Besitz. Ihre Handflächen drückten sich gegen ihre Schläfen, als abermals Verzweiflung sie packte, wie ein Seil, das sich um ihren Hals schnürte, so fest, dass sie fast zu ersticken drohte. Verdient hätte sie es wohl. Wie leichtfertig. Wie naiv. Wie dumm. Erhoffte sie sich doch Seelenfrieden von einen Menschen, der den seinen schon lange verloren hatte und nun im Begriff war, das Land zu verlassen. Und er würde es tun.
~Euer Fortgang schmerzt mich...Und doch ist der Schmerz nur so gross, wie man bereit ist, ihm Macht über sich zu geben. Mein Schmerz...hat jede Sehne meines Körpers erfasst. Schwächlich von mir, nicht wahr?~
Sie konnte nur bitter lächeln, als sie sich diese Worte wieder in Erinnerung rief. Worte, die ihrem Mund entflohen waren, obgleich sie alles daran gesetzt hatte, dass sie nur ein stummer Gedanke blieben. Er würde gehen, trotz dieser Worte, trotz dieses Geständnisses. Und diese Einsicht vermischte sich schmerzend mit der Trauer, die sich seit der verhängnisvollen Botschaft im Sippenhaus in ihr eingenistet hatte. Fast schon ruckartig stemmte sie sich mit beiden Handflächen vom Boden hoch und führte ihre Schritte rasch über das höher gelegene Plateau, die steinernen Treppenstufe zur Strasse hinab. Ihre Hand wanderte beim Gehen unter ihre Kapuze, um die verräterischen Zeichen ihrer Trauer von ihren Wangen zu wischen. Auf halben Wege wurde sie jedoch auf einen jungen Mann aufmerksam, der seelenruhig seine Klinge schärfte. Verwundert blieb sie stehen, mit dem Rücken, auf dem der weisse Baum Gondors prangte, zu ihm gewandt. Er sprach sie darauf an, stellte sich gar als Landsmann heraus. Thurem. Ein neuer Bewerber wie sie schliesslich feststellen durfte. Sie bat ihn in die Hallen der Meigol i Estel und während er seine Klinge zurückpackte und an seinem Waffengurt befestigte, blickte sie zum Himmel empor, als suchte sie dort etwas, was nicht greifbar war.
Es galt nun den Weg, den Taldaras einst beschritten hatte, weiterzugehen. Und sie würde jenem bis zum Ende folgen. Bis sich vor ihr eine Sackgasse auftun würde oder sie am Ende des Weges angelangt und ihre Ziele erreicht hatten. In ewiger Treue zur Meigol i Estel. Und in ewiger Verbundenheit zu Taldaras.

Schweigend setzte sie ihre Schritte die Treppe hinauf, dicht gefolgt von dem gondorischen Krieger und begleitet von dem leisen Rascheln des feinen, himmelblauen Stoffes, der sich um ihren Körper schmiegte. Leis' war es auf der Gelehrtentreppe und erst bei Erreichen der Strasse setzte der laute Geräuschpegel des geschäftigen Treibens wieder ein. Für sie blieb es jedoch still. Totenstille in ihrem Herzen. Die überfülltesten Plätze fühlten sich nun mit einem Schlag leer an und liessen ihre Einsamkeit gedeihen.
Alsbald waren die Dame und ihr Begleiter in der Menschenmenge nicht mehr auszumachen.
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Celestiel
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Re: Dunkle Tage

Beitrag von Celestiel »

II. Abschied

Sanft strich der warme Wind über die kahlen, öden Ebenen eines Landes, das seinen Namen an diesem Tage zu Unrecht trug, denn einsam waren diese Lande nicht, marschierten doch mehr als zwanzig Personen die Ostrasse entlang. Ein Trauerzug, der eine unerwartete Länge angenommen hatte. Noch immer musste sie verwunderte Blicke nach hinten werfen, zu diesen vielen Personen, die ihrem Ruf gefolgt waren. Die Reiter aus Rohan, Söldner, Streiter der Agar Teryn und selbst Falcon mit der Megyl en Fuin, sie alle waren eingetroffen, um einen Mann zu ehren, den die meisten nicht einmal gekannt hatten. Ihr Herz wurde von einer innigen Rührung ergriffen, als ihr Blick sich über all die Köpfe tastete. Es war keine Selbstverständlichkeit, dass sie alle nun hier waren und doch liessen sie es so aussehen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Celestiel richtete ihren Blick wieder geradeaus, ihre Schritte weiter setzend und selbst als die starke Steigung unter ihren Füssen zu spüren war, ging sie entschlossen weiter. Dieser Weg musste begangen und weiter beschritten werden - selbst über diesen Tag hinaus.

Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit lagen verschüttet und zerbrochen, von der Zeit gemeistert, in der Mitte des Steinkreises. Erleichterung kam über sie, als das Ziel ihres Marsches endlich erreicht war und dies ohne nennswerte Zwischenfälle mit Orks. Man stellte sich schon um den Kreis herum, in Erwartung Celestiel würde in der Mitte des Kreises zu den Versammelten sprechen, doch ihr Ziel war ein anderes. Der Osten. Sie wollte sich gen Osten werden. Dort, wo die Sonne empor stieg und Licht über das Land brachte. Dieses Licht sollte eine Hoffnung darstellen, die so irrwitzig klein anzumuten schien in Anbetracht ihrer Trauer. Doch sie wollte hoffen. Wollte eine Hoffnung zurück in ihren Besitz bringen, die ihr so gewaltsam entzogen worden war. So führte Celestiel ihre Schritte abseits des Kreises zu dem steinernen Gemäuer zu ihrer Linken. Ihr Weg wurde jedoch kurzzeitig abgebrochen, als eine Person aus den Schatten der Ruine trat, die sie nimmer hier vermutet hätte. Lue. Jener Söldner, der nie eine Gelegenheit ausgelassen hatte, um sie auf ihre Schwächen hinzuweisen. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und mehr als ein ungläubiges "Lue?" brachte sie nicht hervor. "Lass Dich bei der Trauerzeremonie nicht stören." Sie wusste, dass diese Worte aus seiner Abneigung geboren waren, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Celestiel kam seinem indirekten Wunsch nach und nahm ihren Weg wieder auf, jedoch deutlich zerstreuter als zuvor. Nur noch gedämpft konnte sie vernehmen, wie nun auch andere Söldner an Lue herantraten und nicht minder verwundert zu sein schienen über sein Auftauchen. Hatte er sich etwa von seiner Söldner-Gemeinschaft abgewandt? Und viel drängender die Frage: Wieso war er hier? Verwirrt über diese Frage, die hartnäckig auf eine Antwort pochte, stellte sich auf die steinerne Mauererhöhung und drehte sich zu den Versammelten, die sich nun vor ihr aufstellten. Ihr Blick suchte abermals Lues Gestalt, die sich nun wieder in die Schatten abseits der Menge schmiegte, so als wären diese ihm Schutz wie Verbündeter zugleich. >>Wieso bist Du hier?<< spukte es immer wieder und wieder in ihrem Kopf herum. Die Freude, seine Söldnerkumpanen anzutreffen? Unwahrscheinlich, da nicht einmal sie gewusst hatte, dass soviele Söldner der Trauerfeier beiwohnen würden. Respekt vor einem Toten, den er wohl ebenso abschätzig 'Fürst' genannt hätte zu Lebzeiten? Wohl kaum. Respekt vor ihr? Sie stutzte innerlich. Wollte er sie mit seiner Anwesenheit etwa stärken? Sollte seine Präsenz versinnbildlichen, dass er durchaus den Glauben hegte, dass sie diese Aufgabe bewältigen konnte? Hatte sie sich gar völlig in diesem Mann getäuscht, um den ebenso viele Geheimnisse und unbeantwortete Fragen schwirrten wie Schatten an seinen Fersen klebten? In diesem Moment erweichten ihre Züge und auch ihr Herz musste sich für den Bruchteil einer Sekunde einer aufrichtigen Zuneigung hingeben, die dem Söldner galt. Eine Zuneigung, die nur schwerlich mit Worten zu beschreiben war. Gleich eines ganz feinen, filigranen Fadens, der sie für einen Herzschlag mit ihm verband. Eine Verbindung, die ob ihrer Unterschiedlichkeit, schnell gekappt werden konnte.

Sie zwang sich ihre Gedanken wieder von ihm fortzulenken, um sich ganz auf die Worte zu konzentrieren, welche diese Trauerfeier eröffnen sollten. Gefasst erzählte sie von dem Ableben ihres Hauptmannes Taldaras Arnum und bat all jene, die dem Toten nicht nur mit ihrem Kommen, sondern auch mit Worten die letzte Ehre erweisen wollten, vorzutreten und zu sprechen. Diese Aufgabe kam zuerst ihren Sippengefährten zu. Der Reihe nach traten Egin, Grisgrim und Kanwyn neben sie und sprachen zu der Menge. Die ersten beiden bekundeten ihre Trauer mit Worten, die sich in ihrem Innern mit Herzblut geformt zu haben schienen, so spürte sie bei jeder Silbe, wie sie sich innerlich verkrampfte, um sich gegen eine Trauer und einen Schmerz zu stemmen, die sie in die Knie zu zwingen drohten. Kanwyn trug ein Trauerlied vor, in das soviel Gefühl hineinverwoben war, dass sie gegen den Drang ankämpfen musste, sich von ihrer Trauer übermannen zu lassen, um wie ein kleines Kind vor sich hinzuweinen. Jämmerlich, doch war es menschlich, einer solchen Trauer zu unterliegen. Die Dame hielt jedoch stand und verabschiedete jeweils jeden Redner mit einem dankbaren Neigen ihres Hauptes.
Abermals wurde jedoch ihr Weltbild erschüttert, als ein Zwerg der Söldner an sie herantrat und um eine kurze Ansprache bat. In - für Zwerge typisch - kurzen und prägnanten Worten erklärte er im Namen seiner Gemeinschaft, dass sie alle heute hier eingetroffen waren, um den Toten zu ehren. Völlig verdutzt über diese Worte blickte sie ihm nach und musste sich einen Moment Zeit nehmen, um das soebene Gesprochene zu erfassen. Auch wenn die Söldner im Verlauf der Totenfeier vor allem mit, für die meisten wohl unangebrachten, gegenseitigen Sticheleien auf sich aufmerksam machten, beliess es Celestiel bei einem verärgerten Blick zu ihren Reihen und ermahnte sich zur Ruhe. Dass die Söldner sich hierher bewegen hatten lassen, war schon ein kleines Wunder. Kaum konnte man erwarten, dass sie nun andächtig ihre Häupter neigen und sich einer Trauer ergeben würden, die sie nicht einmal verspüren konnten. Nicht, weil sie jene als herzlos erachtete. Nein, wohl eher weil sie den Tod ganz anders aufzunehmen schienen als sie es tat.

Das Klirren seiner Rüstung kündete ihn an. Eine Person, deren Präsenz nicht minder überraschend war wie diejenige von Lue. Eorain, mit dem sie sich vor wenigen Tagen noch gestritten hatte und der keinen Hehl daraus gemacht hatte, dass Celestiel sein Inneres mit Wut entfacht hatten. Unerwartet blieb er neben ihr stehen und wendete sich den Anwesenden zu. "Auch die Agar Teryn gedenkt heute Taldaras Arnum Hauptmann der Meigol i Estel, Sohn Gondors, gefallen in seiner Heimat. Ich verneige mich vor seinen Taten." Celestiel sah zu wie Eorain sich vor versammelter Menge verbeugte, jeglicher Fassung beraubt. Die Geste Eorains mochte schlicht sein, doch barg sie eine Bedeutung und Ausdrucksstärke, die einen Moment gefährlich an ihrer Fassade kratzten. "Ein schwieriger Weg ist es an der Zeit zu beschreiten. Wir selbst hatten mit Verlusten zu kämpfen, deshalb nehmt diese Kunde des Kampfes als Zeichen unserer Verbindung." Behutsam, fast so als wäre es ein kostbarer Schatz, der unwiderbringlich verloren gehen konnte, nahm sie die Schriftrolle entgegen und drückte es sanft gegen ihre Brust, so dass der aufkommende Wind nicht danach greifen konnte. Eorain entfernte sich mit klirrenden Schritten wieder, doch folgte ihr Blick seinen Bewegungen und ging mit folgenden Worten einher: "Unsere Stärke liegt nun in Verbundenheit und Zusammenhalt. So lasst mich euch versichern: Ganz gleich welchen Weg die Agar Teryn beschreiten mag und ganz gleich mit vielen Gefahren dieser Weg aufwarten mag - die Meigol i Estel wird da sein, um eure Gemeinschaft zu unterstützen." Ihr Blick wurde sodann wieder von Schweigen untermalt. Sie fasste Saelreth, Faerwen und Winkopf ins Blickfeld, deren Anwesenheit ihr Herz mit einer Wärme erfüllte, welche die kalten Klauen der Trauer kurz zu lockern vermochten. Völlig unvorhergesehen hatte sie diese Gemeinschaft in ihr Herz geschlossen, insbesondere die beiden Elbinnen, die ihr das Gefühl gaben stets willkommen zu sein und immer auf ihre Unterstützung zählen zu können. Das erste Mal an diesem Tag huschte ein schwaches Lächeln über ihre Lippen, das wie eine flinke Springmaus über die Wiesen hüpfte, um sogleich irgendwo in einem Erdloch wieder zu verschwinden. Ihr Blick streifte noch einmal Eorains Gestalt, ehe dieser zu Falcon wanderte, der nun ebenso aus der Menge getreten war. Jener Elb, der ihr in manch' schwieriger Situation eine unverhoffte Stütze angeboten hatte. Und sein Blick vermochte das, was Worte nicht konnten: Zu zeigen, dass sie nicht allein war mit ihrer Trauer. Sie weichte einige Schritte zurück, um ihm Platz für seine Ansprache zu lassen. "Die Megyl en Fuin sind gekommen um einen ehrenhaften Mann zu ehren. Wir beugen das Knie vor einem heldenhaften Anführer." In schwarzer Robe standen die Streiter der Megyl en Fuin nun in einer Reihe und verbeugten sich auf Zeichen Falcons. Celestiel verschlug es die Sprache. Sie kannte diese Leute nicht und umgekehrt war es wohl nicht anders. Dennoch waren sie hierher gekommen und ehrten Taldaras, einen völlig Fremden, in eine Art und Weise, die sie sie zutiefst rührte. Respektvoll neigte die Dame ihr Haupt. Eine Geste, die ganz allein Falcon und der Megyl en Fuin gewidmet war.
Als Letzter erhob Anrangar die Stimme und richtete das Wort an die Versammlung. Mit sichtbarer Besorgnis beobachtete sie ihn bei seiner Rede, die schöne Worte an die Ohren aller trug. Er musste noch geschwächt sein von der Befreiung einige Tage zuvor. Wunden zierten den nun kahlen Schädel und sein Anblick liess darauf schliessen, dass er noch nicht ganz bei Kräften war. Umso gerührter war Celestiel also, als sie sich vor Augen führte, dass er den Aufstieg zur Wetterspitze auf sich genommen hatte, um dieser Zusammenkunft beizuwohnen.

Nun war es an ihr, die Trauerfeier abzuschliessen. Mit schweren Schritten, die schwer wie Blei wogen, trat sie wieder vor, dicht an die Kante der Erhöhung und richtete ihren Blick auf die Menge. Der Glanz in dem Blau ihrer Augen war zwar erloschen, doch sah man wie sie ihre Schultern raffte und anspannte, wohl um den Anschein zu machen, dass sie all dem trotzen konnte. Der ganzen Welt, die in unzähligen Gesteinsbrocken über sie hereingebrochen war. Ihre Stimme mutete anfangs brüchig an, doch mit jedem Wort gewann sie an Stärke und Festigkeit: "So lasst mich nun ein Gedicht vortragen, um diese Zusammenkunft zu ihrem Abschluss zu bringen. Einst lernte ich es bei den Elben in Edhellond. Es ist ein Gedicht des Abschiedes." Ihre behandschuhten Hände verkrampften sich, musste doch nun Stärke für Worte gefunden werden, die gänzlich verloren schien. Sie durfte nicht erliegen. Nicht jetzt, wo doch soeben ein altes Kapitel geschlossen und ein neues aufgeschlagen wurde. Ebenjenes würde es ihr nicht mehr erlauben, in der Öffentlichkeit Schwäche zu zeigen. Sie musste nun das Bild einer starken Anführerin wahren. Liess sie es fallen, so würde es in tausend Scherben zersplittern. Celestiels Fingernägeln krallten sich in ihre Handflächen, als sie sich dieser Tatsache bewusst wurde. Einen Herzschlag lang glitt ihr Blick hilflos durch die Menge, auf der Suche nach jener Person, die es besser als jeder andere verstand, Mut in ihr zu schüren. Ja, wäre Falandir hier gewesen, so hätte er gewusst, wie ihre Stärke hervorzurufen war. Die Dame liess jedoch ab von diesem Gedanken, um mit ihren ganz eigenen, persönlichen Worten Abschied von Taldaras zu nehmen:

I ´lîn e – hin nara
I chost peth ú – bedir
I ven ereb dhartha
Ar istam I ´ell randir

Der Schimmer der Augen erzählt,
Was 12 Dutzend Worte nicht sagen
Der einsame Weg wartet,
Und wir wissen, dass Glück ein Wanderer ist

Muindor, anor adlanna
Garo I gam nîn
San mi dúath i anglenna
Cuino i estel mîn

Bruder, die Sonne sinkt
Halte meine Hand
Es ist im Dunkeln, was sich nähert
Sei unsere Hoffnung lebendig

I aur thinna, i dhaw eria
I amar oltha di – dhîn
I daur thuia, i dhû veria
No thenin i vîl nîn

Der Tag verblasst, die Nacht steigt herauf
Die Welt träumt still
Der Wald atmet, die Dunkelheit beschützt
Möge unsere Liebe andauern


Die Worte verklangen leise, wie zarter Atemhauch, der über die Haut streicht. Celestiel liess sich einen Moment von diesem andächtigen Moment gefangen halten, ehe sie eine sachte Umdrehung folgen liess und ihren Blick gen Osten wandte, hinauf zum Horizont. Sie nahm sich ihren ganz persönlichen Moment, um Taldaras freizulassen. Wie ein Vogel, dem man nun Flügel gab und in die Lüfte warf. Sie musste ihn gehen lassen, um selber weitergehen zu können. Um das fortzuführen, was er nicht zu Ende bringen konnte. Celestiels Hand wanderte unter ihre Kapuze, um die Zeichen der Trauer aus ihrem Gesicht zu verbannen. Nein, sie wollte keine Tränen mehr vergiessen. Taldaras' Willen sollte ihm Hoffnung auf seinem Weg mitgegeben werden, wo auch immer dieser ihn hinführen mochte.
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Celestiel
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Beitrag von Celestiel »

III. Schatten der Vergangenheit

Die Trauerfeier auf dem Amon Sul hatte sie zwar mit ihrem Schmerz konfrontiert und diesen von Neuem entflammt, doch war es eine Begegnung gewesen, die es ihr ermöglicht hatte, Taldaras gehen zu lassen. Zu lange hatte sie sich an die Erinnerungen geklammert, nicht ahnend, dass diese zu Schatten einer Vergangenheit mutieren würden, die sie fortan nicht mehr loslassen wollte. Doch die Trauer war ihrem Herzen entstiegen und war gen Horizont gesegelt, zusammen mit Taldaras, dem sie ebenso Flügel gegeben hatte.
Damit sie ihren Weg weitergehen konnte.
Damit sie wieder beginnen konnte, ihr Leben zu leben.

Und nun? Nun stand sie hier. Vor einem Haus, das eine Quelle von Erinnerungen barg, die diese ganzen Bemühungen in ihrem Wirkungsgrad wieder degradieren würden. Die wieder Wunden aufreissen würden, welche sie so mühsam von der Zeit hatte heilen lassen. Doch es war wohl der Menschen Eigenart, Erinnerungen an verstorbene Menschen aufrechtzuerhalten, indem sie sich und ihr geschundenes Herz peinigten. Und auch Celestiel konnte nicht anders, als noch einmal den Ort aufzusuchen, an dem so viele schöne und gleichzeitig schmerzende Erinnerungen hingen. Gleichzeitig war es auch der Ort, der wohl am meisten von Taldaras’ verblassender Präsenz behalten hatte. Die Hoffnung, ihn dort noch einmal fühlen oder spüren zu können, war größer denn je.
Vorsichtigen Schrittes näherte sie sich der kleinen Holzhütte. Der Garten war überwuchert mit Unkraut und das kleine Blumenbeet hatte man ebenso der Natur überlassen, so ragten die Blüten kaum noch aus dem hohen, wirr in alle Richtungen gewachsenen Gras heraus. Auf der Türschwelle angelangt suchte Celestiel in ihrem Beutel nach dem Schlüssel zum Haus, doch gerade als sie diesen ins Schlüsselloch stecken wollte, merkte sie, dass dies gar nicht nötig war. Innerlich verkrampfte sich alles, als die Tür von Geisterhand aufglitt und dies in einer gespenstischen Langsamkeit, die sie im Türrahmen erstarren liess. Der stets auf Vorsicht bedachte Taldaras hätte sein Haus nimmer unverschlossen zurückgelassen. Und ebendiese Tatsache liess ihr Blut zu Eis gefrieren. Hektisch begann sie sich umzublicken, aus der Befürchtung heraus, der Eindringling würde sich noch immer auf dem Anwesen befinden. Doch das einzige Geräusch kam von dem brausenden Wasserfall, der sich hinter dem Haus tosend von der Klippe stürzte, und den Grashalmen, die vom Wind leise hin und her geschaukelt wurden. Zögerlich und äusserst vorsichtig wagten sich die Schritte der Dame in das Haus hinein, in dessen Vorraum sich ihr ein chaotisches Bild bot. Möbelstücke waren umgeworfen und lagen umgekippt auf dem Boden. Die Wandbehänge hingen schief und fast stolperte sie über den Teppich, der scheinbar in aller Hektik aufgerollt worden war. Celestiel stutzte merklich, als sie darunter etwas erspähte, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Dame liess sich in die Hocke gleiten und strich mit ihren Fingerkuppen den Kanten und Seiten einer Falltüre entlang, von deren Existenz sie bis jetzt nicht einmal gewusst hatte. Kerben und Kratzer waren darauf zu sehen. Wer immer hier eingedrungen war, hatte sich an dieser Falltür zu schaffen gemacht. Sie war jedoch verschlossen und dies konnte nur heissen, dass dieser Jemand mit seiner rohen Gewalt erfolglos geblieben war. Ihre Gedanken rasten und überschlugen sich, während sie unentwegt über die Falltür tastete, die im Holzboden eingefasst war. Vielleicht…Celestiel riss ihren Blick ruckartig hoch, als sich der Schlüssel von Taldaras in ihre Erinnerung bohrte. Rasch langte sie nach dem kleinen Beutel an ihrer Hüfte und zog den Silberschlüssel daraus hervor, welcher an einer filigranen Silberkette hing. Die leicht zitternde Hand der Dame kündete von ihrer Aufregung und doch schaffte sie es, den Schlüssel mehr oder weniger behutsam der Öffnung nähern zu lassen. Ein Ausdruck des Erstaunens nistete sich in ihr Gesicht ein, als sich die Falltür mit dem Schlüssel nicht öffnen liess. Sie konnte es nicht glauben! Wofür sollte dieser Schlüssel denn sonst sein, wenn nicht für diese ominöse Falltüre?! Celestiel versuchte es abermals, doch ganz gleich wie sie es versuchte – der Schlüssel wollte einfach nicht passen! Ein geräuschvolles, resigniertes Seufzen stiess sie aus, als sie auch an den anderen Schränken in Taldaras’ Haus nicht hinter das Rätsel dieses Schlüssels kam. Vortrefflich, sie war im Besitz eines Schlüssels, der zu Taldaras’ persönlichen Sachen gedacht war, und doch liess sich hier, in seinen eigenen vier Wänden, wo man eigentlich persönliche Sachen zu verwahren pflegte, nichts finden, was Aufschluss über diesen Schlüssel hätte geben können.
Warm und sonnig empfing sie der angebrochene Nachmittag, als sie ihre Schritte vom Anwesen wegführte. Ihre Schritte verebbten jedoch nach wenigen Metern wieder. Der milde Windzug verfehlte seine besänftigende Wirkung gänzlich bei der Dame. Sie war in Aufruhr. Was sollte sie nun tun? Ihre Sipppengefährten in all dies einweihen? Ein Kopfschütteln zeichnete sich ab. Nein, je weniger Leute von diesem Schlüssel und insbesondere von dieser Falltüre wussten, desto besser. Sie konnte und wollte die anderen nicht unnötig einer Gefahr aussetzen, die sich an ihre eigenen Fersen geheftet hatte. Es oblag nun ihr, diese wieder loszuwerden. Unwillkürlich umschloss ihre Hand den Schlüssel in ihrem Beutel, während sie nachdenklich und mit von Sorgen geplagtem Gesicht auf einen entfernten Punkt irgendwo unten auf dem Marktplatz der Siedlung stierte.

Was in aller Welt hatte ihnen Taldaras für ein Vermächtnis hinterlassen?
Und welche Gefahren mussten sie auf sich nehmen, um die Schatten eines Toten endgültig zur Ruhe zu betten?
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Re: Dunkle Tage

Beitrag von Celestiel »

IV. In den Strassen Brees

Mitten im Getümmel der Strassen Brees lief ein Mann den gepflasterten Weg entlang, welcher am Rathaus vorbei in den Süden der Stadt führte. Nichts Ungewöhnliches mochte man meinen, so herrschte in den Strassen stets ein geschäftiges Hin und Her.
Nein, ein Mann, der es eilig hatte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, war nichts, was eine Beachtung wert gewesen wäre. Selbst der Beutel, den er in seiner Eile verlor, machte sich keiner Ungewöhnlichkeit schuldig.
Ein Mann, der durch die Strassen Brees eilte und dem unglücklicherweise sein Beutel abhanden kam - Eine Alltäglichkeit.
Ein glückliche Fügung also, als der Beutel einige Armlängen von Celestiel entfernt auf dem Boden aufschlug. Dem klimpernden Geräusch zu urteilen ein Geldbeutel, doch hätte es genauso gut ein Beutel voller Edelsteine sein können - Celestiel hätte den Beutel nimmer an sich genommen, um dessen Inhalt für sich selber zu beanspruchen.
"Wartet! Euer Beutel...", rief sie ihm nach und schritt ihm sogleich entgegen, um ihm den verloren gegangenen Beutel zurückzugeben. Dabei fiel ihr Blick unweigerlich etwas genauer auf den Beutel. Während der Fremde unsicher einen Dank vor sich hinstotterte und den Blick fast beschämt zu Boden gleiten liess, verharrte ihre Hand regungslos in der Schwebe, gelähmt von dem eingestickten Schlüssel-Motiv, auf das sich ihr Blick nun konzentrierte. Er hatte eindeutig die gleiche Form jenes Schlüssels, den Taldaras ihr einst in Obhut gegeben hatte.
"Woher habt Ihr diesen Beutel?"
Ihre Stimme klang fordernd, so verlangte es sie nach einer Antwort. Eine Antwort, die den Nebel lichten sollte, der soeben die ganze Umgebung verschlungen hatte und sie blind im Dunkeln tappen liess. Gewiss kein Verhalten, das man von ihr gewohnt war, doch waren hier Höflichkeiten schlicht fehl am Platze, auch wenn das Zusammenpressen ihrer Lippen darauf schliessen liess, dass die Dame ihr harsches Gebaren bereits bereute. Ihre Worte schienen eine einschüchternde Wirkung auf ihn zu haben, denn kaum einen ruhigen Laut brachte er nun über seine Lippen:
"Er... er ist schön, der Beutel.. nicht wahr? Gerade ... für jemanden wie.. wie mich. Ich sammle Schlüssel, wisst .. wisst Ihr? Da ist ein Schlü..üssel auf dem Beutel.. den schönsten, den ich ... woher ich den Beutel habe ..habe?"
Sie forderte ihn mit einem Nicken auf, weiterzusprechen, während sich die Strenge in ihrem Blick etwas abmilderte, wohl weil sich der Fremde wie ein Kind verhielt, das man soeben getadelt hatte und das darauf nichts zu entgegnen wusste. Aufmerksam betrachtete sie ihn, sein leicht kantiges Gesicht und die schüchtern herabgesenkten Augenlider, die ihn unsicher und etwas zerstreut wirken liessen.
„Ich.. meine Großmutter schenkte.. ihn mir einst.. deshalb.. ich danke euch.. er ist mir viel wert.. Ei..ein hübscher Beutel wie ich finde.. nicht? Der Schlüssel darauf stam...mmt aus einer alten Geschichte.. ja.. aber sie ist nur Legende.. und ich ..ich halte nichts.. nicht viel von solchen.. Erzählen ..ungen ..ihr? Aber der Schlüssel ist s..chön, nic ..ht? Sammelt ihr auch Schlüssel?“
Es war für sie schwierig abzuschätzen, ob der Mann einen Sprachfehler hatte oder in seinem ganzen Auftreten einfach nur schüchtern war. Geduldig lauschte sie den gestotterten Bruchstücken und setzte sie im Stillen zu sinnigen Sätzen zusammen. Wenn sie ihm mehr Antworten entlocken wollte, dann musste sie sich nun auf dieses Spiel mit den Schlüsseln einlassen:
„Ja, der Schlüssel ist schön...Eure Grossmutter, sagtet Ihr? Ein Familienerbstück? Bitte...“,
sprach sie in ruhiger jedoch bittender Tonlage, die sie etwas dämpfte, als sie einen Schritt auf ihn zumachte.
„Bitte erzählt mir, was Ihr über diesen Schlüssel wisst...“
"Mhmm....hat Eure Großmutter Euch auch immer alte Geschichten ..en erzählt? Hat sie? .. Die Schlüsselgeschichte war immer span-nend. A..aber auch vie vielleicht nur wegen dem Schlü schlüssel... Der Schlüs ..sel soll sehr alt sein, nicht? Ja.. aus dem Norden. Aber den Schlüssel .. gibt es nicht ..und die .. die Geschichte ist nicht... nicht wahr. ..also was immer eure Großmutter Euch erzählt hat.. es stimmt nicht. Nun.. muss ich .. ich aber wirklich weiter... Herrin.“
Celestiel riss ihre Augen auf, als er so plötzlich aufbrechen wollte. Nein! Des Rätsel Lösung stand womöglich vor ihr, doch war dieses gerade im Begriff, sich ihr entziehen zu wollen! Fest umklammerte sie den Beutel, wie ein Schatz, der ihr unwiederbringlich hätte verloren gehen können. In der Hoffnung, ihn durch den Schlüssel zum Bleiben zu bewegen, griff sie nach dem nachtblauen Beutel, der um ihre Hüfte geschlungen war, und zog den Schlüssel daraus hevor, der an einer filigranen Silberkette baumelte. Nicht ahnend, dass sie durch dieses Handeln einen schlagartigen Wandel bei dem Fremden herbeiführen würde, spürte sie plötzlich einen festen Druck an ihrem Handgelenk. Der Mann, von dem alle Schüchternheit abgefallen war und dessen Züge nun hart und entschlossen waren, hatte sie am Handgelenk gepackt, um den Schlüssel gewaltsam zurück in ihren Beutel zu befördern.
"Ihr habt den Schlüssel also. Verteidigt ihn um jeden Preis. Lasst keinen davon wissen."
Knapp blickte er um sich ehe er dicht an sie herantritt und mit energischer, gedämpfter Stimme fortfuhr:
"Was wollte Taldaras? Wohin wollte er? Was wollte er dort?"
Celestiel war im ersten Augenblick nicht dazu fähig, irgendeine Reaktion folgen zu lassen. Mit erstaunt geweiteten Augen starrte sie ihn an. Ungläubig, was sie soeben für einen Wandel mit dieser Person durchlebt hatte und fassungslos, was für Fragen ihr gestellt wurden. Er kannte Taldaras also! Doch was waren seine Beweggründe und Absichten? War er ihm feindlich gesinnt oder war er darin bestrebt, in guter Absicht, Informationen über Taldaras einzuholen?
In Windeseile schnellte ein Gedankenfetzen nach dem anderen an ihr vorbei, von denen sie keinen packen und festhalten konnte.
"Wer seid Ihr? Ich werde Euch keinerlei Antworten geben, nicht an diesem Ort und nicht bevor Ihr mir gesagt habt, was Eure Absichten sind."
Ihre Wut darüber, so hinters Licht geführten worden zu sein und blauäugig in diese Falle getappt zu sein, hatte sie zu diesen eindringlichen Worten veranlasst und ihr fester Blick, der ihn nun fixierte, stand diesen in nichts nach. Was immer sie jedoch bewirken wollte - ihre Worte verfehlten ihre Wirkung bei dem Fremden, so vergrösserte dieser nun rasch die Distanz zwischen ihnen beiden und richtete letzte Worte an sie:
"Denkt an meine Worte, schützt ihn! Er wird kommen."
Er? Noch bevor sie ihn hätte fragen können, wer die von ihm vage angedeutete Person war, hatte er ihr auch schon den Rücken zugedreht und rannte die Strasse hinunter. Gekonnt machte er sich die Schatten der Gasse zunutze, die ihn alsbald vor fremden, ungewollten Blicken schützten.

Sprachlos blieb sie auf der Strasse zurück. Die Hand regungslos auf ihrem Beutel liegen lassend, von dem sie allmählich glaubte, einen Gegenstand zu verbergen, der ihr Schicksal herausfordern wollte - und womöglich schon bald sollte?
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Kelim Kaltschmied
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Re: Dunkle Tage

Beitrag von Kelim Kaltschmied »

Es muß noch am gleichen Tage abends gewesen sein,
als Kelim gemeinsam mit Thereyna, Khormur und Malachit im Sippenhaus
Celestiel in einer sonderbaren Stimmung vor funden.

Das die Dame voller Geheimnisse und ihre Gesichtszüge
ein Bühne für Gefühle und Regungen nicht immer ihrer eigenen Stücke war,
wußte Kelim nun schon ansatzweise. Aber so wie heute
hatte er sie noch nicht erlebt. Das Lächeln wollte ihr nicht recht gelingen und
ihre Gedanken schienen meilenweit entfernt zu verweilen.

Es dauerte eine schiere Endlosigkeit, bis die Dame schließlich
das offensichtliche zu verbergen aufgab.
Sie bat die Anwesenden Platz zu nehmen, denn was folgen würde,
bedurfte mehr als nur ein paar wenige Sätze.

Gebannt lauschten die Hobbitdame Malachit und die drei Waffenmeister
den Schilderungen der Ereignisse in Bree.
Aber wer glaubte, dass dies alles war, irrt.
Die Ereigniss von Bree würden jedem hartgesottenen Kämpfer nur
ein Stirnrunzeln oder gar ein Schulterzucken entlocken.

Sichtbar aufgewühlt berichtete Celestiel nun von den Geschehnissen des Nachmittags.
Sie hätte keine Ruhe gefunden und hätte das Sippenhaus abermals verlassen,
um nach der Hütte des verstorbenen Taldaras zu schauen.

Die Tür fand sie aufgebrochen,
die Wohnung durchwühlt und
unter einem Teppich eine Falltüre freigelegt!

Die Freunde saßen mit offenen Mündern da.
Am helligten Tage ist man in der Siedlung offenbar nicht mehr sicher!
Es roch nach Gewalt ...

Die Dame schilderte weiter, dass die Falltüre zwar beschädigt wurde,
aber immernoch fest verschlossen sei.
Das Schloß sah zwar einem Schlüssel, den sie von Taldaras einmal bekommen hätte,
ähnlich. Er paßte aber nicht.

Gepaart mit diesem Wissen und den Ereignissen in Bree beratschlagte man,
was nun am besten zu tun wäre.

Heftig diskutierte man, das der Schutz der Sippenhalle und
besonders ihrer Herrin unter allen Umständen gewährleistet werden müßte.
Um so besorgter waren die Freunde, als die kluge Dame immer wieder darauf bestand,
dass alle Bemühungen von Außenenstehenden unbemerkt bleiben müßten.
Als Leibwache erwog sie sogar Söldner anzuheuern...

Ein Skandal ! Die anwesenden Krieger fühlten sich deklassiert.

Aber Khormur blieb' unbeugsam ... und so einigte man sich schließlich auf 2 Dinge.

Zum einen würde eine routierende Wache der Meigol-i-Estel das Sippenhaus und seine Bewohnerinen beschützen.
Zum anderen müsse man die Zeit nutzen, mehr über diesen geheimnisvollen Mann in Bree herauszubekommen.

Wo wohnte er in Bree ? Mit wem pflegte er dort Kontakte ?

Eine unauffällige Suche nach Antworten sollte beginnen und hoffentlich bald Früchte tragen .....


ooc: Dieser Teil schien mir hier noch ratsam zu sein zu erwähnen. Fehler & Ungenauigkeiten bitte ich zu
entschuldigen und ggf. zu ergänzen oder zu korrigieren.
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Egin
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Beitrag von Egin »

Egin läßt sich aufs Bett plumpsen. In Gedanken ist er nur zu einem geringen Teil in seiner Hütte an dem kleinen See im Breeland.
'Unsere Mitspieler bekommen Gesichter!'
Er lockert seine Stiefel, bis die Fersen etwa auf halber Höhe der Stulpen sind, dann schwingt er seine Unterschenkel schwungvoll nach vorne. Die Stiefel verlieren den Halt an den Füßen und fliegen, in sanftem Bogen, langsam rotierend quer durch die Schlafstube. Und suchen sich polternd einen Platz für die Nacht unter dem kleinen bücherbedeckten Tisch. Egin verschränkt die Arme hinter dem Kopf und läßt nun auch seinen Oberkörper nach hinten aufs Bett fallen.
'Das Geheimnis der Meigol i Estel. Oberstes Ziel ist es, es nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen. Aktuell ist es wohl sicher, da nichteinmal wir wissen, wo es sich zur Zeit befindet. Und wer Taldarasens Haus verwüstet hat, sucht offensichtlich auch noch. Wer noch sucht, hat noch nicht gefunden!'
Egin öffnet den Gürtel und zieht ihn, den Unterleib kurz anhebend, mit einem raschen Ruck aus den Schlaufen der Hose. Dann läßt er ihn zu Boden gleiten.
'Dieser Mann, auf den Celestiel zufällig - zufällig? wissen wir das? - in den Straße von Bree traf, weiß offensichtlich mehr. Seine Warnungen lassen vermuten, daß er kein Gegenspieler ist, dennoch scheint er zu glauben, daß vage Andeutungen zur Zeit genügen. Wenn wir den finden könnten! Vielleicht können wir ihn ja finden. Zu gerne würde ich ihn sprechen! Dieser Folken traut sich ja zu, ihn aufzustöbern. Wer sollte es auch sonst tun? Nur er und Celestiel wissen, wie der - wie nenne ich ihn? Trickdieb, Warner, Beutelbesitzer? - ausschaut.'
Egin zieht die burgundene Hose aus und die Rüstung über den Kopf, wozu er nocheinmal Unterleib, dann Oberkörper anheben muß.
'Sonst war am Keilerbrunnen ja nichts zu finden. Wir sind ausgeschwärmt, haben den Platz abgesucht. Dann sah ich Kelim bei diesem Zecher stehen. Mürrisch war er, aber auch nicht wirklich uninteressiert an einem Gespräch. Ein einsamer Kerl, wie mir scheint, etwas verbittert und zynisch.'
Egin schaut zu seiner Hose, dann wieder zur Decke und unwillig wieder zur Hose.
'Also gut!'
Ruckartig richtet er sich nocheinmal auf, greift die Hose, legt sie zusammen, streicht sie glatt und hängt sie über die Stuhllehne. Danach macht er das gleiche mit dem ledernen Oberteil.
'Und wieder ab ins Bett! Ah, tut das gut!',
stöhnt er wohlig.
'Und er hat die Szene zwischen dem Beutelsammler und Celestiel beobachtet. Lange braune Haare, abgerissene Kleidung, fast wie ein Bettler, klaut sich seinen Lebensunterhalt zusammen. Aber einer, der mehr weiß! Der den Namen Taldaras kennt, der von der Bedeutung des Schlüssels weiß! Selbst, wenn Folken ihn nicht finden sollte, haben wir ein paar Informationen gesammelt, und nichts verloren.'
Egin streckt sich genüßlich. Trotz aller Gedanken, die in seinem Kopf kreisen, lächelt er doch einigermaßen zufrieden.
'Ich habe ihm meine Adresse gegeben. er wird sich melden. Und sollte er ein falsches Spiel spielen, vielleicht ein Doppelspiel, werden sich Andere melden. Es wird Bewegung geben. Vielleicht steht Celestiel, nach Taldarasens ominösem Abgang, nicht mehr alleine im Fokus der noch unbekannten Mitspieler?'
Egin dreht sich zur Seite, schmiegt sich an sein Kopfkissen, drückt es noch etwas unter seinem Kopf zurecht und zieht sich dann die dünne Sommerdecke bis zum Hals. Dann schließt er die Augen.
'Und dann immer noch Taldarasens ominöser Tod!',
ist sein letzter Gedanke, danach nur noch das Reich der Träume.
Raythir

Re: Dunkle Tage

Beitrag von Raythir »

Lange war Raythir geritten, um Esteldin zu erreichen. Nach den vorkommnissen am Keilerbrunnen in Bree war er überstürzt aufgebrochen. Seine Gedanken waren klar bei seinem Aufbruch und sein Ziel lag deutlich vor seinem geistigen Auge. Doch als er in der Morgendämmerung die Zuflucht der Waldläufer erreichte, hatte sich alles verändert. Während des langen Weges hatte er genug Zeit zum nachdenken gehabt.

An einem etwas abgelegenen Lagerfeuer lies Raythir sich nieder. Die Wärme des Feuers und die Mauern der Ruinen Esteldins verströmten eine Ruhe und seinen Gedanken lies er freien lauf.

In Gondor fand er etwas über die Umstände heraus, die zu Taldaras Tod geführt haben sollen. Einzige Spur war in seinen Augen eine Person, die laut wager Beschreibung eine Art Waldläufer war. Und dieser Fremde von gestern, in der Robe eines Waldläufers, konnte er dieser Fremde gewesen sein? Und welche Rolle spielte wohl der Dieb? Was wusste er? Egin war in Raythirs Augen naiv, das er dem Fremden traute, aber was macht das schon? Was wären die Folgen, wenn.....

Raythir legte sein Schwert ab und lies sich auf den Rücken sinken. Sein Blick fokusierte einen Stern am Himmel, der noch in der Morgendämmerung zu sehen war.

Warum mache ich mir eigentlich solche Gedanken um das alles? Dieser Taldaras ist ein Fremder, ich kenne Ihn nicht und werde ihn kaum kennen lernen, nicht wahr? Und wer sind die Meigol-I-Estel? Ich weiß doch nichts über Ihre Mitglieder....Celestiel versinkt in Trauer und strahlt wenig Hoffnung aus, doch sollte sie nicht voran gehen, als Anführerin? Und Egin, der engste Vertraute Celestiels scheint mir reichlich leichtfertig mit der Situation umzugehen. Und dann sind da noch die anderen, Malachit, die Hobbitfrau, die stets frendlich ist, aber immer Teilnahmslos wirkt. Kelim & Thereyna...fähige Kämpfer, habe schließlich die eine oder andere Schlacht mit ihnen geschlagen...aber sonst sind sie Fremde, genau wie diese ganze Sippe irgendwie Fremd ist. Dieser geheime Auftrag? Ist er wirklich noch von Bedeutung? Irgendeiner verlorenen Kiste nach jagen? Gespenster fangen? Soll das der Weg sein, den es zu Beschreiten gilt? Sollte ich nicht in Gondor sein und dort an der Seite meines Volkes streiten? Was hat denn die Meigol-I-Estel für mich getan? Ich habe mich doch mit einem deutlich formulierten Hilfe-Gesuch an die Sippe gewandt, doch bis auf leere Worte lies man bisher keine Taten folgen. Stattdessen wurde ich irgendwie in diese Geschichte gezogen. Vielleicht sollte ich Sie ihrem Schicksal überlassen, schließlich haben Sie das ja auch mit mir gemacht....

Mit diesen letzten Gedanken fiel Raythir in einen kurzen, unruhigen Schlaf.
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Celestiel
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Re: Dunkle Tage

Beitrag von Celestiel »

V. Eine unverhoffte Begegnung

Erstaunlich wie an einem Abend alle Pläne, die man all die Wochen zuvor verfolgt hatte, sinnlos werden können. Und genauso erstaunlich ist es, wie leicht andere Menschen einen erschüttern können. Menschen, die einem so fremd sind und in keiner Weise einen emotionalen Einfluss haben sollten, und dennoch alles für wahr Geglaubte zunichte machen. Und wieso? Weil die Vergangenheit eines Menschen sie miteinander verbindet, der selbst im Tode keine Ruhe zu finden scheint.

Der himmelblaue Umhang flatterte leicht im lauen Windzug, der das gondorische Wappen darauf verzerrte. Die einzige Bewegung, die sich bei der Dame verzeichnen liess, so stand sie starr vor einem Krieger mit schulterlangem schwarzen Haar und gepflegten Kinnbart. Die imposante, prunkvolle Rüstung liess auf einen hohen Rang im Heer schliessen und die edlen Gesichtszüge verknüpft mit dem goldenen Stirnreif wiesen ihn offenkundig als Mann Gondors aus. Warme Fühler streckten sich nach ihnen aus, als die Sonne die Siedlung mit dem letzten Licht des Tages beglückte ehe der Horizont der Abendröte Anheim fallen und diese wiederum alsbald von dem anbrechenden Dunkel vertrieben sein würde. Doch noch hielten die letzten Sonnenstrahlen diese tückische Idylle aufrecht. Noch immer regte sich Celestiel nicht. Fassungslos starrte sie den Mann an und wurde immer und immer wieder von den Worten heimgesucht, die er zuletzt gesprochen hatte:
>> Lasst mich Euch vorstellen. Man nennt mich Berodon aus dem Hause Arnum. Ich kenne Eure Familie wie Ihr sicherlich auch Wissen über die Meinige besitzt. Ihr verwahrt etwas, das von großem Wert für mich ist... <<
Ihr Gesichtsausdruck war schwer in Worte zu fassen, so pendelte dieser zwischen Unglauben und Fassungslosigkeit. Taldaras hatte stets davon gesprochen, der Letzte seiner Familie zu sein und nun stand da plötzlich dieser Mann, der behauptete der Familie Arnum anzugehören. All diese Fragen liess sie jedoch kurzzeitig ruhen, als er darauf hinwies, dass sie etwas in ihrem Besitz hatte, das er haben wollte. Reflexiv fasste sie nach dem Beutel an ihrer Hüfte, als sähe sie in der blossen Andeutung eine Drohung und Gefahr.
„Mit Verlaub mein Herr, doch wieso sollte ich Euch Glauben schenken? Taldaras sprach immer davon, dass es niemanden mehr von seiner Familie gäbe.“
„Das dachte ich mir. Ja, Taldaras sprach davon, weil er davon ausging. Doch so wahrhaftig ich hier stehe, bin ich ein Arnum. Doch mein Bruder steht nicht hier.“
Unwillkürlich zogen sich ihre Brauen verärgert zusammen. Ja, wahrhaftig, er stand nicht hier! Weil der Tod nach ihm gegriffen und ihn mit sich genommen hatte! Bei aller Wut, die sich aufstaute und sich noch verstärkte, als er mit einer Selbstverständlichkeit hier angekommen war, die in Anbetracht der Tatsache, dass es alles andere als selbsterklärend war, plötzlich einen weiteren Arnum in dieser Welt zu wissen, versuchte Celestiel dennoch sich zu fassen, äusserlich irgendwie die Ruhe zu bewahren, wenn diese ihr innerlich schon abhanden zu kommen drohte. Sie scheiterte kläglich mit ihrem Vorhaben, zur Ruhe zu kommen:
„Er hat einen Bruder?!“
„Er ging davon aus - Gondor ging davon aus, dass ich tot bin, weil ich es so wollte. Doch ich habe mich verschätzt und bin in Tatendrang geraten. Verzeiht die Mittel, die mein ..Begleiter benutzte um an gewisse Informationen zu kommen. Ich sprach davon, dass Ihr etwas hättet, was für mich von großem Nutzen und Wert ist...“
Celestiel fiel es wie Schuppen von den Augen. Der Mann mit dem Beutel! Die Empörung darüber, dass er ihn fast schon unschuldig als sein Begleiter bezeichnete, war ihr deutlich anzusehen. Geflissentlich ignorierte sie sein Drängen nach dem Schlüssel und liess ihn spüren, dass sie nicht gewillt war, auch nur ansatzweise seinen Forderungen nachzukommen:
„Dieser ungehobelte Kerl war in Eurem Auftrage unterwegs?!“
„Ja, das war er und ist er immernoch. Ein Schlüssel ist es, den ich benötige.. ihr tragt ihn sicher bei euch? Doch möchte ich etwas erfahren...wen der Schlüssel als seinen Eigentümer ansieht.“
„Wisst Ihr eigentlich, was Ihr damit ausgelöst habt?! Die ganze Sippschaft ist in Aufruhr versetzt und glaubt, ich befände mich in Gefahr! Wir haben Wachen vor dem Sippenhaus aufgestellt, um uns gegen diese Bedrohung zu wappnen, die nun gar keine ist!“
Ihr Blick war in Wut umgeschlagen, als er in seinem Handeln keinen Fehl sah. Doch keinerlei Wirkung schien die so offenkundige Wut von Celestiel auf ihn zu haben, so lächelte er sie weiterhin unbetrübt an. Ein Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichte, so blickte er Celestiel gestochen scharf an.
"Es ist unwichtig. Ich möchte bitte, dass ihr den Schlüssel hervorholt. Verzeit mir, doch ich möchte zuerst etwas wissen.“
Ihr Mund stand einen Fingerbreit offen, als er sich doch wahrhaftig anmasste, weiterhin selbstgefällig Forderungen zu stellen, während sie sich die Monate über mit Erkundigungen über einen Schlüssel abgemüht hatten, der sein Rätsel nicht offenbaren wollte! Und nun verlangte dieser Kerl doch wahrlich Antworten auf Fragen, die ihm nicht einmal ansatzweise zustanden! Wutentbrannt war die Dame und dies zeigte sich auch nach Aussen hin:
„Ihr möchtet also etwas wissen? Dann beginnt zuerst einmal, meine Wissenslücken zu füllen! Ich bin keine Spielfigur, die Ihr nach Eurer Willkür auf einem Brett herumschieben könnt! Ich will wissen, was es mit diesem Schlüssel auf sich hat, ansonsten könnt Ihr ohne Antworten wieder zurück nach Gondor gehen."
„Herrin, ich, mein Vater und seine Väter haben Schwanenritter angeführt, darunter auch einige aus dem Hause Navayron. Gute Soldaten. Jede einflussreiche Familie besitzt Dinge, deren Angelegenheit ihre Sache bleiben sollte, nicht?“
„Nicht in diesem Fall."
„Ihr begeht einen Fehler, wenn ihr euch jetzt abwendet. Ihr werdet unterrichtet, doch erst benötige ich bestimmtes Wissen. Eine einfache Bitte.“
Celestiel hatte ihm schon den Rücken zugekehrt nach ihren knappen, alles anderen als freundlichen Worte und entfernte sich mit entschlossenen Schritten von ihm, doch kam sie nicht weit. Seine letzten Worten hatten eine zu grosse Macht über sie und so blieb sie abermals stehen. Einen Moment verharrte sie schweigend auf dem Weg, die eine Vorgehensweise mit der anderen abwägend. Schliesslich liess sie eine halbe Umdrehung folgen und verkündete mit einem knappen Nicken, das in den Süden der Siedlung deutete, ihre Entscheidung. Jene Richtung, in der das Sippenhaus der Meigol i Estel stand.


Die Flammen züngelten in den eisernen Kohlebecken, welche die Wärme in die grosse Halle strömen liessen. Matt spiegelten sich die Flammen auf den steinernen Wänden, die Celestiel in diesem Moment als kalt und ungastlich empfand. Stumm stand sie an der langen Tafel und strich mit der Kuppe ihres Daumens über den Schlüssel, den sie aus ihrem Beutel gezogen hatte. Kalt und hart lag er in ihrer Handfläche, doch übergab sie ihm den Schlüssel nur widerwillig. Entgegen ihrer Erwartung jedoch drückte Berodon den Schlüssel in ihre Hand zurück und schloss diese um den kleinen Gegenstand.
„Schließt Eure Augen und fühlt den Schlüssel... was spürt Ihr?“
Celestiel setzte einen fragenden Blick auf, so blieb ihr der Sinn hinter dieser Aufforderung zu diesem Zeitpunkt noch verschlossen.. Schwach umschloss sie den Schlüssel, der sich im Gegensatz zu ihrer warmen Hand kalt anfühlte. Ein kurzes Zucken durchfuhr ihre Handfläche, doch nicht, weil sie etwas spürte Vielmehr weil Gegenteiliges der Fall war. Ob sie sich erhofft hatte, einen Hauch von Taldaras zu spüren? Es schien so, denn so drückte sie nun ihrerseits den Schlüssel rasch in seine Handfläche und versuchte sachlich das Nicht-Gefühlte wiederzugeben:
„Nichts. Ein normaler Schlüssel, hart und kalt. Was habt Ihr erwartet?"
„Mhm, ich habe gar nichts erwartet. Es ist schließlich nur ein Schlüssel, nicht wahr?. Dennoch gehört er meiner Familie und somit mir. Ich denke, Ihr braucht ihn nicht mehr.“
Celestiels Brauen zogen sich zusammen, als er seinen vermeintlichen 'Besitz' einforderte. Rasch schloss sich ihre Hand um den Schlüssel und entriss diesen seinen Händen. Berodon liess sie gewähren, woraufhin sie sogleich einen Schritt zurücksetzte, um sich und insbesondere den Schlüssel aus seiner Reichweite zu bringen. Ihr fester Blick und die abweisende, straffe Haltung verdeutlichten, dass sie den Schlüssel mit ihrem Herzblut verteidigen würde, wenn dies von Nöten war.
„Er scheint Euch viel zu bedeuten, der Schlüssel?. Doch sagt mir.. warum, wenn Ihr nicht mal seinen Nutzen kennt? Er passt in kein Schloss, das Ihr kennt, geschweige denn je sehen werdet.“
„Es ist mir gleich, ob er der Familie Arnum gehört. Zuletzt gehörte dieser Schlüssel Taldaras und er gab ihn in meine Obhut bevor er nach Gondor aufgebrochen war.“
Während der Krieger die Ruhe in Person vorgab, schwang in ihrer Stimme ein hörbar scharfer Unterton mit, der klar machte, dass sie ihm keinen Deut Vertrauen entgegenbrachte. Es war selten bei der stets höflichen Dame, dass sie jemandem feindselig gegenüber trat, doch hier liess sich ihr Argwohn kaum verbergen. Fest umklammerten ihre Finger den Schlüssel, als versuchten diese ihren Besitzanspruch darauf zu sichern.
„Taldaras war dieser Schlüssel wichtig. Ich werde ihn gewiss nicht so leichtfertig irgendeinem dahergelaufenen Gondorer geben, der behauptet sein Bruder zu sein und ein Hochstapler sein könnte! Ich traue Euch nicht, schon allein deswegen nicht, weil Ihr unverhofft vom Himmel gefallen seid und behauptet, Euren Tod vorgetäuscht zu haben, wohl aus Gründen, die ebenso ominös scheinen.“
„Ich bin kein Hochstapler, Celestiel Navayron. Ich gebe zu, ich habe einen Fehler gemacht, Taldaras nicht über meinen wirklichen Zustand zu informieren. Hätte er davon eine Ahnung gehabt, wäre der Schlüssel nun in meinen Händen, in Sicherheit. Nun überlasst ihn mir. Ihr habt nichts mit diesen Angelegenheiten zu tun, vielmehr müsst Ihr Euch um Euer eigenes 'kleines' Problem kümmern, nicht wahr? Also, lasst es meine Sache sein. Nun gebt mir den Schlüssel, Herrin. Es ist in Taldaras Sinne.“
Ihm wurde ein hasserfüllter Blick zuteil, als ihr bewusst wurde wie schwer seine Schuld an Taldaras’ Tod wog. Doch lauerte da noch etwas in dem nun eiskalten Blau ihrer Augen, das nicht als Wut einzuordnen war. Vielmehr signalisierte dieser kurz aufblitzende Funken, dass sie nun auf der Hut war. Wusste er etwa von den wahren Zielen der Meigol i Estel oder auf was zielte er mit dem 'kleinen Problem' ab?
„Nein, das ist es nicht! Ich sage Euch was in seinem Sinne gewesen wäre...Ein Bruder, der ihm zur Seite gestanden hätte, wäre in seinem Sinn gewesen! Ein brüderliche Stütze in einer Zeit, in der er mit Probleme zu kämpfen hatte, von denen Ihr nicht einmal ansatzweise eine Vorstellung zu haben scheint!“
„Und Ihr seid Euch so sicher, dass ich dies nicht tat?“
Ihr entwich ein verächtliches Schnauben, während sie den Blick von ihm abwendete und damit irgendeinen entfernten Punkt an der gegenüberliegenden Wand fixierte, wohl um sich von der Wut abzulenken, die sie bei seinem blossen Anblick ergriff. Ihren folgenden Worten haftete ein spöttischer Unterton an:
„Ach, tatet Ihr?“
„Das spielt jetzt keine Rolle, weder für mich, noch für Euch. Was habt Ihr von dem Schlüssel, wenn er Euch nicht weiterhilft? Und das wird er mit Sicherheit nicht, Herrin, das wird er nicht. Solange Ihr ihn nicht spürt. Und da Ihr dies nicht vermögt besitzt Ihr ihn nicht. Ihr wisst nicht viel über die mächtigen Symbole, die euch derzeit umgeben, nicht wahr?“
Ihr Blick wanderte mit einer fast schon gespenstischen Ruhe zu ihm zurück. Lange schwieg die Dame, im Innern mit sich selber ringend. Was, wenn es wirklich in Taldaras’ Sinn stünde, dass der Schlüssel in den Besitz seines tot geglaubten Bruder käme? Ihre Züge resignierten, als sie sich glaubend machte, einen sinnlosen Kampf zu fechten. Einen Schlüssel hatte sie, dessen Nutzen sie nicht kannte und wohl auch nie kennen würde. Schweigend blickte sie auf den Schlüssel hinab. Das einzige, was ihr von Taldaras geblieben war, ausser den verblassenden Erinnerungen an eine Zeit, von der sie so lange glaubte, sie würde ewig währen. Es mochte verwunderlich sein, dass sie nun genau dieses für sie kostbare Erinnerungsstück aus ihren Händen gab und in Berodons Hand drückte. Dieser nahm den Schlüssel lächelnd entgegen, diesmal mit der Sicherheit ihn nicht wieder hergeben zu müssen. Ein Lächeln, dem sie keinerlei echte Freundlichkeit oder Aufrichtigkeit beimessen konnte, auch wenn es anders sein mochte.
„Seht Ihr, so schwer war es nicht. Nun seid Ihr diese Last los. Nun habe ich noch einige Fragen, wenn Ihr so nett wäret, sie mir zu beantworten, bevor ich einige Tage weiterreisen muss.“
„Ihr werdet von mir keine Antworten erhalten.“
„So sei es. Doch wisset, Ihr handelt nicht in Taldaras’ Sinne.“
„Ich habe schon nicht in seinem Sinne gehandelt, indem ich den Schlüssel aus meinem Besitz gegeben habe!“
„Wen dies Euer Entscheid ist, werde ich gehen. Doch wir werden uns wieder begegnen.“
Feuerfunken stoben in dem Blau ihrer Augen auf, als er wieder diese Arroganz zum Vorschein brachte, die sie im Laufe des Treffens zu hassen begonnen hatte. Dieser Mann erdreistete sich doch tatsächlich, Dinge zu fordern ohne auch nur eine einzige Gegenleistung zu erbringen, obwohl sie diejenigen waren, welche die Zeit über diese ganzen Lasten tragen mussten!
„Das ist alles, was Ihr zu sagen habt? Es ist eine Schande, dass Ihr Euch sein Bruder und ein Sohn Gondors nennen dürft! Ihr kommt hierher, stellt Forderungen und masst Euch an, all dies zu verlangen ohne selber irgendwelche Fragen zu beantworten!“
„Herrin. Es war eine Freude euch kennen zu lernen. Eine Navayron seid Ihr mit Sicherheit. Mein Bruder war im Recht Euch an seine Seite zu ziehen.“
Das Klirren seiner Rüstung begleitete ihn nach draussen bis das Geräusch schliesslich durch die zufallende Tür aus der Halle verbannt wurde. Celestiel stand regungslos an der Stelle, wo er sie soeben verlassen hatte. Ihre geballten Hände waren noch ein gnädiger Ausdruck ihrer Wut, die er in ihr entfachte hatte. Doch was noch niemand ahnen konnte und das ihm irgendwann Celestiels Dank einbringen würde, war die Tatsache, dass Berodon unverhofft eine Veränderung und Entwicklung eingeläutet hatte bei der Dame, die sie zwar spüren doch noch nicht erfassen konnte. Die Entschlossenheit brannte förmlich in dem blauen Augenpaar, in dem nichts von der Wärme wiederzufinden war, die sie andere stets erfahren liess. Nein, hier und jetzt war ein Punkt erreicht und überschritten worden, der sie verändern würde. Oder hatte die Verwandlung schon begonnen?
Celestiel drehte sich ruckartig um und steuert mit festen Schritten die niedrige Steinempore an, auf dem sich der Kartentisch befand. Schnell waren Pergament und Feder gefunden, mit der sie nun ein Schreiben an die gesamte Sippschaft aufsetzte:

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Streiter der Meigol i Estel

Hiermit lasse ich verkünden, dass von allen Bemühungen, die den Schlüssel und den mysteriösen Fremden betreffen, mit sofortiger Wirkung abzulassen ist. Der Schlüssel befindet sich nicht mehr in meinem Besitz. Das Verwahren von ebendiesem obliegt nun anderen Personen und hat die Meigol i Estel nichts mehr anzugehen. Zu lange haben wir uns von unseren richtigen Zielen ablenken lassen und so soll nun unser aller Augenmerk auf die Befreiung des Chronisten Berian gerichtet werden. Unser Weg wird uns nicht wie angekündigt in die Nordhöhen führen, sondern in Feindesland. Angmar wird unser Ziel sein. Ein Wagnis, das wir zusammen mit unseren Verbündeten eingehen werden. Ich rufe euch alle zur Unterstützung auf und beraume eine Zusammenkunft an. Am 11. Tage des nächsten Monates werden wir uns zur siebten Abendstunde im Sippenhaus einfinden. Es wird das Erscheinen aller gewünscht.

Mögen bis dahin die Sterne über euren Wegen wachen.

Gez.
Celestiel Navayron
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