
Es war schon bewundernswert, wie sich die Dinge fügten. Desto mehr er sich von seinem Trupp löste, desto besser konnte er auf Lynne eingehen. Er bekam die Zeit und Ruhe sich Gedanken machen zu können. Langsam erhob er sich, ging auf den eingestürzten Teil der Mauer zu und blickte auf die Felder von Fornost, die verdeckt im Nebel schliefen. Für den kurzen Moment des Morgens bekam die Welt ein friedliches Gesicht, bis die Sonne den Nebel zerbeißt und das abtrünnige Grinsen des Krieges klar erkennen lässt. Doch noch verdeckte der Nebel jegliche Feuer, Palisaden und Götzentotem. Für wahr, es blieb nur ein unwirklicher Frieden, doch machte es ihn für diesen Moment nicht wertloser als einen wirklichen.
Seit er zum ersten Mal hierher gekommen war, hatte sich mehr verändert als er selbst vermutet hatte. Zurück aus der Riddermark fand er durch einen Zufall heraus, dass sein Trupp nicht mehr in Aughaire war, sie waren kurz nach seinem Aufbruch ebenfalls weitergereist, doch ihr Ziel war Evendim. Ein Land, dass in ihm einen bitteren Geschmack hervorrief. Ein Land, mit dem er nichts Gutes verbinden konnte. Aber seine Wünsche sollten diesbezüglich nicht eine Reise in das verlorene Königreich der Dunedain verhindern. Angekommen fand er aber niemanden auf, den er noch aus dem Lager in Angmar kannte. Er vermied erstmal seine Uniform zu tragen bis er mit Celestiel oder Vreawyn gesprochen hatte. Doch Celestiel sollte nicht kommen, Egin, der sich als ihr Stellvertreter vorstellte, sagte ihm das. Und Vreawyn? Sie schien wieder anderen Dingen nachzugehen. Es hatte sich viel verändert. Doch wem hätte er sich anvertrauen sollen? Der erste Vorgesetzte, der ihm begegnete, war der Jähzornige, der Vreawyn zur Begrüßung einen Bierkrug entgegenwarf. Ein Mann, den er bis heute nicht verstand. Ihm zu vertrauen war ausgeschlossen. Nicht bevor er herausfand, was diesen Mann wirklich bewegte und warum Celestiel ihm ihr Vertrauen schenkte.
Es war eine gute Entscheidung, sich erstmal zu distanzieren. Abstand von allem zu gewinnen, bevor es ihn verschluckte. Nun sah er mit einem klareren Blick auf die Situation, wie sie sich von Angmar bis Evendim entwickelt hatte.
Leise setzte er sich wieder zu seiner Frau. Seit er Lycande kennengelernt hatte, war es sein Ziel eine Welt zu erleben, in der es nicht nur für die Feinde unmöglich ist Menschen zu verletzen, sondern dass auch die Menschen selbst mehr aufeinander acht geben und aufhören sich gegenseitig zu verletzen, ob es nun physisch und psychisch war. Gerade Lynne hatte in ihm diesen Wunsch wieder wach gerufen. Doch allein war es unmöglich. Zu wem hätte er gehen sollen? Wem konnte er trauen? Er musste denen trauen, denen seine Vertrauten trauten. Zumindest hatte ihm Celestiel dieses Gefühl übermittelt.
Lycande erhob sich und sah ihn schlaftrunken an. „Guten Morgen, Ly.“ Mehr als ein Lächeln kam nicht als Antwort, doch es genügte vollkommen. „Warte kurz auf mich, ich bin gleich wieder zurück.“
Er erhob sich und stieg die Treppen hinauf zum Lager der Meigol i Estel. Vielleicht waren schon welche erwacht.