Ellj

Schreibt hier die Geschichte Eures Charakters nieder.

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Ellj
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Ellj

Beitrag von Ellj »

- Prolog -

Es war schon früher Abend geworden, als Ellj von ihren Einkäufen und Besorgungen in das kleine Häuschen, in einer der Siedlungen nahe der Stadt Bree zurückkehrte. Sie schloss die Tür hinter sich ab und sah sich, in dem schon recht düsteren Zimmer um. Im Vogelkäfig hatte der kleine, sonst immer so fröhlich zwitschernde Flieger sein Köpfchen bereits unter die Federn gesteckt und schlief. In den Bücherschränken zeigten sich, statt einer Vielzahl von Buchrücken, nur noch schwarze Schatten. An der Wand gegenüber, am Durchgang zu ihrer kleinen Schlafkammer flackerte noch ein schwacher aber einladend warmer Schein des Kaminfeuers. Sie tastete sich vorsichtig einige Schritte voran, bis sie den großen, schweren Holztisch erreichte, an dem sie sonst immer aß oder las oder andere Dinge erledigte. Dort stellte sie all das, was sie heute erstanden hatte, ab. Gleich darauf drehte sie sich in Richtung des Kaminflackerns und ging leichten Schrittes darauf zu, bis sie in den Raum daneben gelangte.
Auch hier herrschte eine müde Stille. Die Katze lag eingerollt und schlafend auf dem dicken Kissen, welches sich nah genug am Kamin befand, um dem eleganten Pelztier eine angenehme Wärme zu spenden. Sie hatte es sehr wohl bemerkt, dass Ellj nach Hause zurück gekehrt war, hielt es aber offenbar nicht für notwendig, sich zur Begrüßung zu erheben. Lediglich ihre Augen öffneten sich kurz und die Nase hob sich schnuppernd ein klein wenig in die Luft. Ein knappes, anklagendes Mauzen folgte. Diese zur Kenntnisnahme von Elljs Anwesenheit dauerte nicht viel länger als ein Wimpernschlag und schon war sie scheinbar wieder eingeschlafen.

Ellj ging auf den Kamin zu, nahm den Feuerhaken, welcher gleich neben dem Korb mit Brennholz stand und schürte ein wenig die Glut. Einige glühende Funken sprangen aus der Feuerstelle und landeten direkt davor. Langsam erlosch das rote Glühen und hinterließ winzig kleine, schwarze Aschepunkte. Noch war es nicht zu spät, das Feuer erneut zu entzünden und so griff sie nach einigen Stücken Kleinholz und warf diese über die glühenden Kohlereste. Es dauerte einige Minuten, währenddessen sie mehrmals vorsichtig in die rot glimmende Kohle pustete und so nach und nach fingen die kleinen Holzstücke an zu brennen. Sie sah sich das Ganze zufrieden an und nickte, ehe sie in den Holzkorb griff und einige, nun große Stücken Holz herausnahm. Sie legte diese sachte auf das kleine Feuer und beobachtete, wie sich die Flammen mehr und mehr des Holzes zu bemächtigen begannen. Ein Knistern beendete bald darauf die Stille im Raum und ein harzig rauchiger Duft breitete sich aus. Ellj schien mit dem Ergebnis einverstanden und drehte sich zu dem gemütlichen Korbstuhl um, der immer vor dem Kamin stand und mit der Zeit zu ihrem Lieblingsplatz im Haus geworden war.

Auf der rechten Lehne lag ein Buch, darauf eine weiße Schreibfeder und eine kleine Phiole mit Tinte. Sie machte es sich auf dem Stuhl gemütlich und lockerte ihr Haarband, bis sich der Zopf am Hinterkopf löste und ihre Haare freigab. Sie griff sich in die rotbraune, schulterlange Mähne und schüttelte diese einmal locker auf. Früher einmal waren die Haare länger, viel länger sogar, bis über die Hüfte hinunter lies sie sie einst wachsen. Sie lächelte kurz, als sie diese Erinnerung traf und ergriff gleich darauf das Buch. Dann betrachtete sie es im Schein des flackernden Kaminfeuers genauer. Es war umgeben von einem dunkelbraunen, ledernen Einband, an dessen Vorder- beziehungsweise Rückseite je ein ledernes Band befestigt war, mit deren Hilfe man das Buch verschließen konnte.
Das Buch war im großen und ganzen schlicht gehalten, sieht man von der Einprägung mittig auf der Vorderseite ab. Im Feuerschein war jene Einprägung, trotz der Dunkelheit des restlichen Raums, noch immer deutlich zu erkennen, handelte es sich doch um die silbrig glänzende Kontur eines Schwans. Ellj legte schon fast liebevoll ihre Handfläche auf das silberne Symbol und schloss eine zeit lang ihre Augen. Mit einem Mal war es, als konnte sie ihn ganz deutlich sehen. Der Moment, als sie noch ein Kind war und mit freudig strahlenden Augen vor ihrer Mutter stand. Es war der Augenblick, als diese sich zu ihr hinunter beugte, in der Hand das Buch haltend um es Ellj zu überreichen. Plötzlich meinte sie, die stets liebevolle Stimme ihrer Mutter zu hören

„Ein Tagebuch Ellj, für all jene besonderen Momente und Erinnerungen, welche dich auf ewig begleiten sollen“.

Sie machte die Augen wieder auf und blickte erneut auf das Tagebuch in ihrer Hand. Vorsichtig öffnete sie den Knoten der Bänder und schlug es langsam auf. Eine weiße Seite kam zum Vorschein. Kein einziges Wort war zu lesen. Lange betrachtete sie die Leere, welche sich ihr gerade offenbarte. Gab es denn keine Erinnerungen, keine Momente die es Wert waren in diesem Buch ihren Platz zu finden? Sie zog die Augenbrauen zusammen und dachte konzentriert nach. Dann, ganz plötzlich öffnete sie die Phiole, ergriff die Schreibfeder und tunkte deren Spitze ein wenig in die Tinte hinein. Gleich darauf setzte sie die nun schwarze Federspitze sachte auf das feine Papier und begann zu schreiben.


Vom Übermut

In so manchem Dasein gibt es diesen einen Moment, in dem sich das Schicksal ganz plötzlich neuen Wegen zuwendet und das alte Leben hinter einer dichten, schier undurchdringbaren Nebelwand zurück lässt, sodass man den einst begangenen Pfad nicht mehr zu entdecken vermag. Manchmal ist dieser Moment nur so lang wie ein kurzes, unbedacht vorgetragenes Lied. Ich weiß wovon ich spreche, denn ein solches veränderte meines.
Ich heiße Ellj. Mein Sein begann vor nunmehr 25 Sommern in der stolzen Stadt Dol Amroth. Mein Leben, vor jenem besagten Moment, war stets ein leichtes gewesen. Man könnte sogar behaupten, ich war frei wie der Wind, der durch die Baumkronen streift und einige der Blätter mit sich trägt, oder über das Meer hinweg weht und das smaragdgrüne Wasser unerbittlich gegen die Felsen einer Küste schiebt. Kaum eine Beschränkung, kein Verbot oder Regeln lasteten auf mir. Ja … ich mag wohl recht verwöhnt gewesen sein in jenen Tagen. Aus gutem Hause, immer umringt von Freunden, auch wenn ich mir später des öfteren die Frage stellte, ob es echte Freunde waren. So lebte ich ein recht belangloses wie bequemes Leben. Ich kannte es nicht zu hungern oder zu frieren, wusste nicht, was es bedeutet, sich um sein Leben zu fürchten. Ich war gerade achtzehn Jahre alt geworden und das war es, was ich feiern wollte.

[An dieser Stelle, wird zu einem späteren Zeitpunkt, in einer noch fernen Zukunft, am Rand ein kleiner Nachtrag seinen Platz finden: Prinzessin Sommersprößchen]

Eigentlich fing dieser Tag an, wie jeder andere auch und der Abend versprach Musik, Tanz und viel Gelächter. Die Taverne war gefüllt mit dem Geruch von Wein, Bier und Met, aber auch Bratenduft hing überall in der Luft. Die Feuer knisterten in den Kaminen und heizten nicht nur den Schankraum, sondern ebenso die Gemüter der Gäste auf. Spielleute musizierten, lachten und sangen fröhliche Lieder. Der Wirt und seine Mägde füllten wieder und wieder die Krüge. Die Stimmung war prächtig.
Und so kam es, wie es kommen musste. Angeheitert von einigen Krügen Met und angestachelt von der johlenden Menge, fand ich mich auf einem der Tavernentische wieder. Mit, vor Aufregung rot glühende Wangen, das Gesicht von der schwülwarmen Luft verschwitzt, sodass einige Haarsträhnen an meiner Stirn klebten, den Metkrug in die Luft gestreckt wie ein Schwert zum Zeichen des Sieges, so stand ich da, eine Heldenpose des Übermutes. Was ich nicht merkte, war das missmutig wie hasserfüllt, aus einer dunkleren Ecke heraus beobachtende Augenpaar, dessen Besitzer, ein selbstgefälliger, von Eitelkeit zerfressener, rachsüchtiger und leider auch außerordentlich einflussreicher junger Adliger war, der sich wohl als der Empfänger meines Liedes verstand. Ich selbst fand meinen Vortrag noch nicht einmal besonders gut gelungen und noch weiniger der Rede wert. Jedoch ließ die Reaktion darauf nicht lange auf sich warten.
Es ging alles ganz schnell. Genau erinnern kann ich mich nur noch an das hastig mit dem Nötigsten gepackte Bündel und die entsetzten, wie traurigen blickenden Augen meines Vaters. Ein Mann, der nicht nur das Aussehen eines alter, rauen Seebären innehatte, sondern auch so sprach, obgleich er ein angesehener Magister der Heilkunst war und für den es ansonsten immer ein leichtes zu sein schien, die Wogen meines Übermutes zu glätten.

Dieses mal jedoch nicht.

Und so fand ich mich plötzlich auf der Straße vor den Toren Dol Amroths wieder. Die Sonne hatte gerade damit begonnen sich den Tag zurück zu erobern und die weißen Steine der Stadtmauern mit einem warmen orange zu belegen. Die Luft war, im Gegensatz zur Taverne, klar und noch angenehm kühl. Einige Vögel erwachten bereits aus ihrem Schlaf und grüßten mal zaghaft, mal energisch den neuen Tag. Lange stand ich einfach nur da und blickte in die Richtung des Weges, welcher an die Küste führte. Wie oft war ich ihn schon gegangen? Zusammen mit meinem Vater, auf der Suche nach kleinen und großen Abenteuern. Und mit einem mal drang eine verloren geglaubte Erinnerung in meine Gedanken vor, an den Tag, nachdem meine Mutter verstarb, als Vater trotz aller Heilkunst nicht mehr zu helfen vermochte. Zwei Leben erloschen in diesem einen Moment, der ein guter hätte werden sollen, denn mein Bruder wollte das Licht der Welt erblicken. Ein Unwetter wühlte das sonst so blau schimmernde Meer schäumend auf und trieb die Gischt tosend gegen den steilen Küstenstreifen. Der Regen peitschte gegen Vaters Gesicht und mischte sich mit dessen Tränen. So stand er, mit weit ausgebreiteten Armen, an den Klippen und schrie den heulenden Sturmböen entgegen, fast als wollte er sagen: 'Hier bin ich, komm und zeig mir was du kannst!'. Und in diesem Augenblick begriff ich, nun hatte auch ich ihm das Herz gebrochen.

Mein Weg führte mich in Richtung Imloth Melui, im Lehen Lossarnach. Dort lebte und arbeitete meine Großmutter noch im hohen Alter, ebenfalls als Heilerin, in den Häusern der Heilung. Oft war ich in meiner Kindheit bei ihr, eine zweite Heimat war jenes blütenreiche Tal.
Meine Großmutter war eine alte, weise Frau, welche gebückt aber mit großem Stolz und oft genug störrisch an einem Gehstock ging. Nie sah ich sie anders, als mit streng am Hinterkopf verknotetem weißen Haarschopf. In der alten Heilerin erwachte die Hoffnung, ich die Enkelin könnte nun ihr Erbe antreten. Und eine Zeit lang schien es auch, als würde ihr Wunsch in Erfüllung gehen.

Bis mich auch hier die Vergangenheit einholte. Die grenzenlose Eitelkeit und die ungeahnte Rachsucht trieben ihre Schergen hinter mir her und ließen diese Hoffnung sterben. Als auch Großmutter ein Opfer derselben zu werden drohte, packte ich abermals mein Bündel und verließ das Tal gen Norden. Aber egal wo ich mich nieder ließ, immer waren auch die Schatten jenes Abends nicht weit. So führte mich mein Weg nach und nach immer näher an die Grenze zu Rohan und ein Entschluss reifte in mir. Ich beschloss Gondor zu verlassen und mein Glück in Rohan zu versuchen. Die Schritte hinein in dieses fremde Land wurden begleitet von nur einem Gedanken 'Eines Tages … eines Tages... ' und plötzlich sprach mein Mund unwillkürlich aus, was mein Kopf dachte. Ich drehte mich um und schrie, mit Tränen in den Augen, meiner alten Heimat zum Abschied zu „ EINES TAGES … KEHRE ICH ZURÜCK“

Wohltuende Ruhe

Das Glück schien mir hold zu sein in diesem … Rohan. Nicht lange wanderte ich umher, als ich in einem Ort namens Aldburg meine neue Heimat fand. Ein betagtes, kinderloses Krämerpaar nahm mich wundersamer Weise auf und bald war es, als wären sie wie Mutter und Vater für mich. Einige friedliche und ereignisarme Jahre zogen ins Land. Mal half ich der Krämerin Diriwyn in ihrem kleinen, engen, aber doch gemütlichem Laden … mal reiste ich mit dem alte Krämer umher und erwarb verschiedenste Waren zum Verkauf … mal aber zog es mich auch allein hinaus und ich durchstreifte gedankenverloren die Mark.

Es war eine gute Zeit, die nie hätte enden können. Bis der alte Kaufmann von einer seiner Reisen nicht mehr lebend zurückkehrte.

Ich kam gerade von einem kleinen Ausflug zurück, als ich Diriwyn schluchzend, am Tisch sitzend vorfand. Die Schultern nach unten hängend, als würde eine unbegreiflich schwere Last auf ihnen ruhen. Vor ihr lag etwas in ein fein besticktes Tuch aus edlem Stoff eingeschlagen und ich wusste sofort um was es sich handelte. Es war der alte Dolch des Krämers. Ein seltsames wie kostbares Stück von elbischer Machart. Wie er daran kam, dies erzählte der Krämer nie, das er ihm unendlich viel zu bedeuten schien merkte man in jedem Augenblick, in dem er einfach nur träumend und liebevoll darauf blickte, fast als streichelten seine Augen über das meisterlich gefertigte Stück Metall. Und wieder reifte in mir ein Entschluss. Diesmal einer der Dankbarkeit. Ich unterbreitete Diriwyn den Plan, an die Stelle ihres Mannes zu treten und an seiner statt all die Waren zu erstehen, die sie verkaufen konnte. Nach kurzer Zeit waren wir uns einig und die Krämerin übergab mir, als Zeichen der Verbundenheit, den alten Dolch ihres Mannes, mit den Worten „ Möge er dich immer schützen auf deinen Wegen“.

Ein weiteres mal packte ich mein Bündel und war bereit, in die Welt hinaus zu ziehen.

Elljs zu Papier gebrachter Gedankengang brach jäh, von einem hellen Klirren begleitet, ab und noch ehe sich ihre Augen nach Herkunft sowie Ursache desselben umsehen konnten, hatte sie das Näschen der eben noch so friedlich schlafenden Katze direkt vor ihren Augen. Wie sie schnell erkannte, war die Katze auf die Lehne des Korbstuhls gesprungen und hatte dabei die kleine Phiole zu Fall gebracht. Die lag nun vor dem Kamin und langsam aber sicher ergoss sich die kostbare Tinte auf den hölzernen Fußboden. Geschwind legte Ellj das Buch und die Schreibfeder beiseite, hüpfte vom Stuhl und versuchte zu retten, was womöglich nicht mehr zu retten war. „Ach Katze“ klang es raunend aus ihrem Mund, während sie die Phiole aufhob und den Tintenfleck auf dem Boden betrachtete, der wohl nun auf ewig diese Stelle markieren würde. Einen Atemzug später fiel ihr Blick auf das mittlerweile nur noch sachte brennende, mehr glimmende Kaminfeuer. Es musste schon vor einer ganze Weile aufgehört haben zu knistern.

Sie entschloss sich, davon abzusehen, das Feuer erneut zu entfachen und verschloss stattdessen die Phiole, band den ledernen Einband des Tagebuchs zu und griff noch nach der Schreibfeder. Ellj ging mit müden Schritten auf die andere Seite des Raumes, an der eine ansehnliche Kommode ihren Platz gefunden hatte. Sie öffnete vorsichtig, unter leisem Quietschen die oberste Schublade und übergab Buch, Feder und Phiole in deren Obhut. Die Schublade schloss sich erneut und neben dem Quietschen war nur noch zu hören „ Ja doch Katze, ich lass dich schon raus!“.


Bree – Geschehnisse und Gedankengänge für einen möglichen, zukünftigen Tagebucheintrag

Ich mag diese Stadt einfach nicht … Schon als ich sie zum ersten mal betrat, spürte ich diese unbestimmte Abneigung, eine eigenartige Unruhe, wenn ich mich innerhalb ihrer Mauern aufhalte. Eigentlich wäre ich am Liebsten sofort weiter gezogen. Was mich hier hält ist einzig und allein Diris Brief, in dem sie mir vor einigen Wochen voller Begeisterung schrieb, dass all die exotischen Waren von Halblingen, Zwergen, manchmal Elben daheim besten Absatz fänden. Also habe ich mich schweren Herzens dazu entschlossen hier doch noch zu verweilen und Bree zum Ausgangspunkt meiner Unternehmungen zu machen. Und so stehe ich wieder einmal seit einigen Minuten seufzend an dessen östlichem Stadttor und versuche mich dazu zu bewegen es zu durchqueren. Nun gut, es hilft ja nichts, ich habe Hunger und so setzte ich mühsam einen Schritt nach dem Anderen voran. Normalerweise gehe ich in die Gelehrtenstube, dort ist es noch am angenehmsten. Aber heute wird’s wohl im Gasthaus enden. Das tänzelnde Pony … welch ein seltsamer Name für eine Taverne. Kaum stehe ich auf dem Vorplatz des Ponys und beobachte einige Spielleute dabei, wie sie heiter musizieren, schon hab ich ein Met frei. Da sag ich natürlich erst mal nicht nein. Wie sich herausstellt, ist der langweilige Söldner, der mir den Metkrug knurrig überreicht, selbst auch noch furchtbar gelangweilt, jedenfalls fällt er direkt mit der Tür ins Haus und beginnt seine Unterhaltung mit den Worten:

' Erzähl mir etwas von dir, dass mich interessieren könnte' …

Nun gut, wie ich eben so bin mache ich mir einen kleinen Spaß aus der Sache und erzähle etwas Unsinn … Ellj, die kühne Diebin – Ellj, die unerschrockene Grabräuberin. Das ich kein Interesse daran hege, mit ihm allein in ein Hinterzimmer zu verschwinden scheint dem Guten am Ende so gar nicht zu gefallen … Klar, dass es nicht lange dauert und der Söldner springt auf, schreit mir ein 'Dann verrotte doch im Kerker' entgegen und stapft wutentbrannt davon … Na Ellj, das war doch sicherlich eine neue Bestzeit … Noch während mir für einen Moment der Gedanke kommt, nun endlich zu wissen, was mir an dieser Stadt nicht gefällt … spricht mich eine weitere Stimme an, ob sie sich wohl an den Tisch setzen dürfte … Ich sag 'ja'... was auch sonst, ist ja nicht mein Tisch. Weiter interessiert mich die Stimme nicht, stellt sich mir doch eher die Frage, ob ich nicht besser aufstehe und schnell wieder von hier verschwinde. Plötzlich jedoch reißt mich die Stimme ein weiteres mal aus meinen Gedanken, diesmal endgültig.
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Beitrag von Ellj »

Allein

Ein dumpfes, stetig wiederkehrendes und unheilvoll klingendes Donnergrollen holte Ellj nach und nach aus ihrem traumlosen und auf eigenartige Weise wenig erholsamen Schlaf. Verwirrt sah sie sich um. Der Schlafplatz war nicht eben der Gemütlichste, aber was will man von einem staubigen, harten Erdboden auch anderes erwarten? Zumindest schien dieser Platz sicher zu sein. Sie wollte sich ein wenig strecken. Ihr rechtes Bein war wohl eingeschlafen, fühlte sich jedenfalls unangenehm taub an und begann nun langsam zu schmerzen. Ellj verzog stöhnend das Gesicht und wandte ihren Blick nach oben, in der Hoffnung, die ungefähre Tageszeit erkennen zu können. Das Ergebnis war ernüchternd. Ob morgens, mittags oder abends, der Himmel schien stets die gleiche, bedrohliche Wolkenfarbe zu haben, ein glühendes Orange welches hier und da in ein hitziges Rot wechselte. Nur an wenigen Stellen drang ein fahles Blau durch die Wolkendecke hindurch. „Eigenartig“ entkam es aus ihrem Mund. Erst am Vortag hatten sie die Grenze zwischen Rohan und Gondor hinter sich gelassen und hier ein Nachtlager gefunden. Sie richtete sich ein wenig mehr auf und sah neugierig hinunter in Richtung der kleinen Festungssiedlung, unterhalb eines der großen Leuchtfeuer, unweit eines alten Steinbruchs. Die Menschen waren bereits auf den Beinen und gingen ihrem mühsamen Alltag nach. Die Stimmung schien auf die Einwohner hier abzufärben und sie fast zu erdrücken. Niemand vermochte heiter zu lachen geschweige denn ein wenig zu lächeln, auf allen lag vielmehr eine merkwürdige bleierne Schwere, die die Kraft aus ihnen zu ziehen schien.

„Ehrk?“ sagte sie nun beiläufig und drehte unterdessen den Kopf. Es war niemand sonst am Schlafplatz. Schlagartig realisierte Ellj, dass sie ganz allein war. Nochmals rief sie, diesmal etwas lauter und versuchte sich zum stehen aufzurappeln, wobei ihr das noch immer schmerzende Bein weg knickte, sie sich recht unsanft wieder setzte und sich genötigt sah, zumindest noch eine Weile sitzen zu bleiben. 'Wo steckt er bloß? Seit wann ist er weg? Was ist denn passiert? Wieso bin ich hier allein? Warum hat er mich nicht geweckt?' dachte sie sich und wurde zunehmend unruhiger, ehe sie plötzlich inne hielt und den Kopf schüttelte. 'Jetzt reicht es aber Ellj! Reiß dich doch mal zusammen!' unterbrach sie sich selbst in Gedanken, gefolgt von einem genervten Schnauben. 'Er vertritt sich sicher nur die Beine oder erkundet die Gegend … hoffentlich bringt er etwas zu essen mit … sicherlich ist er nur deswegen kurz weg!' sie nickte, sich selbst bestätigend und begann ihr Bein zu massieren, da es nun zwickte und zwackte aber zumindest wieder anfing nutzbar zu werden. Sie beschloss hier auf Ehrk's Rückkehr zu warten. Was sollte sie auch anderes tun?

Die Zeit verging, die Unruhe kehrte gleichsam zu Ellj zurück. Zunehmend nervös rutschte sie auf dem kahlen Erdboden herum und sah sich wieder und wieder suchend um. Anders als es die ins rötliche Licht getauchte Umgebung vermuten lassen würde, kroch irgendwann auch noch zu allem Überfluss, eine unangenehme Kälte vom Boden aus an ihr hinauf. Unvermittelt sprang sie auf und sah sich ein letztes mal um, ehe sie beschloss, auf die Suche zu gehen.

Das Bündel versteckte sie sicher hinter einem alten Baum, dann ging sie los. Vorsichtig betrat sie den schmalen Weg, der durch die Siedlung führte und folgte ihm dahin, was ihr als Ortsmitte erschien. Aufmerksam musterte sie die Menschen, die ihren Dinge nachgingen und ihrerseits wenig Interesse an der Fremden zu haben schienen. Die Leute waren von nahem noch abweisender und mürrischer, als sie schon aus der Ferne gewirkt hatten. Den einen oder anderen auf dem Marktplatz fragte sie nach Ehrk's Verbleib, aber niemand wollte oder konnte ihr eine genaue Antwort geben. Es dauerte nicht lange und es verfestigte sich ein Gedanke in Ellj. 'Irgendetwas stimmt doch hier nicht!' sie atmete tief ein, wandte sich um und ging zu den Ställen, da hatten sie die Pferde am Vortag abgestellt. Als sie diese erreicht hatte, wurde sie kreidebleich. Das Entsetzen war ihr schlagartig und deutlich anzusehen. 'Die Pferde! Sie sind ebenfalls verschwunden!' schrie es ihr durch den Kopf, während ihr Mund nur einen unverständlichen Ton der Verzweiflung ausstieß. Ihre Hände legten sich vor ihr Gesicht. Ihre Gedanken waren kaum noch unter Kontrolle zu bringen. Es schien fast, als würde sie die Fassung verlieren. Hinter der Hand war nur noch ein dumpfes Schluchzen zu hören, dass irgendwann in ein leises „Was mach ich jetzt, was mach ich jetzt, was mach ich denn jetzt?“ überging.

Eine Zeit lang stand sie so da, dann wandte sie sich erneut an die weniger werdenden Menschen. Wie schon auf dem Markt, interessierte sich niemand für sie, konnte oder wollte helfen. Niemand hatte etwas über den Verbleib der Pferde zu sagen. Sie ging zurück zu ihrem Schlafplatz. Der letzte Rest Hoffnung schwand, als sie diesen verlassen vorfand. Sie nahm sich ihr Bündel, packte es auf den Rücken und sah in Richtung der Festungstore. Bald schon würden sie über die Nacht geschlossen werden und diese Gegend war ihr nicht freundlich gestimmt. Sie wusste nicht wo sie mit ihrer Suche anfangen sollte. Sie wusste nur, dass sie schleunigst damit beginnen wollte. So machte sie sich auf den Weg und schlüpfte noch durch die sich schließenden Tore hindurch. Einer der Wächter rief ihr ein „SEID IHR DES WAHNSINNS?“ hinterher, wollte sie an der Schulter packen und zurück in die vermeintliche Sicherheit ziehen, doch Ellj war schneller.

Ob morgens, mittags oder abends, der Himmel schien stets die gleiche, bedrohliche Färbung zu haben, ein glühendes Orange welches hier und da in ein hitziges Rot wechselte, lag auf den Wolken. Jedoch war es mittlerweile deutlich dunkler geworden. Man konnte gerade noch den einsamen Schatten erkennen, der zwischen den Bäumen eines kleinen Wäldchens hindurch huschte, um dort Schutz zu suchen, für die Nacht.
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Ellj

Beitrag von Ellj »

Eine kurze und unsichere Rast, eine kleine und verzweifelte Notiz

Es war ganz sicher Fehler... und ich hab's gewusst.... zumindest geahnt. Ich kann nicht sagen ob nur Tage oder gar schon Wochen vergangen sein mögen, seit ich mit anbruch der Dämmerung die Tore der Feste durchschritt. Alles hier ist feindlich gestimmt. Selbst der Himmel mag mir kein Freund sein und wenigstens für einige Augenblicke die Sonne durch die Wolken blinzeln lassen... damit ich mich ein wenig orientieren könnte. Den Weg zurück zur Feste habe ich indes nicht wieder gefunden... nichts hier kommt mir irgendwie bekannt vor, aber alles sieht immerzu gleich aus, ich fürchte sogar fast, ich laufe unentwegt im Kreis herum... ein Lebenszeichen von Ehrk habe ebenfalls noch immer nicht entdeckt... ich sehne mir Beides herbei.
Meine Vorräte neigen sich dem Ende entgegen. Stets bin ich gezwungen mich irgendwo zu verkriechen... die Wesen, die hier umher ziehen sind ungeheuerlich... Eines beängstigender und bedrohlicher als das Andere. Ich werde, so gut es eben geht, meinen Weg fortsetzen... und weiter hoffen... etwas anderes bleibt mir nicht, wengleich die Hoffnung zu schwinden beginnt.
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Beitrag von Ellj »

Zurück!

Ellj musste wohl irgendwann vor Erschöpfung weg gedämmert sein. Sie fand sich wieder, zusammengekauert unter dornigem Gesträuch. Kaum halbwegs bei Sinnen, meldete sich zuerst und lautstark ihr Magen, nicht lang danach schmerzhaft der Rest ihres Körpers. Ihre Vorräte waren nun endgültig aufgebraucht, es brachte nichts im Bündel nach Resten zu kramen, frisches Wasser suchte sie ebenso vergebens wie verzweifelt. Sie spürte, dass ihr langsam die Kraft schwand. Mit leerem, ausdruckslosem Blick starrte sie auf den steinigen Boden, welcher sich vor ihrem Rückzugsort ausbreitete. Eine gefühlte Ewigkeit lang.

'Einen Met im Pony in Bree. Nie hätte ich mehr dafür gegeben als jetzt.' Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie die Kraft fand um die Gleichgültigkeit abzuschütteln, die sich ihrer zunehmend zu bemächtigen schien. 'Oder... ganz frech... einfach zwei Met?'

Erst jetzt fiel ihr auf, dass der steinige Boden vor sich ein Pfad zu sein schien. Sie drückte vorsichtig einen der unteren Äste des Strauches beiseite um den Kopf ein wenig vorstrecken zu können... nur ein wenig... um besser sehen zu können. Es war ein Pfad, dies wurde ihr nun klar. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Sie hatte verzweifelt danach gesucht, konnte das sein und sie hatte ganz plötzlich endlich Glück? Ellj drückte sich hoch und versuchte aus dem Gebüsch heraus zu kriechen, was sich als gar nicht so einfach erwies. Es war, als wollte das Gestrüpp sie hier festhalten. Die Dornen krallten sich in ihre Haare zogen und zerrten erbarmungslos daran, kratzen über ihre Kleidung, bohrten sich hinein und erwischten zu guter Letzt auch ihr Gesicht. Aber all das nahm sie kaum wahr. Ellj sah nur den Pfad, ein wenig Hoffnung und dann endlich stand sie darauf.

'Met, ja. Im Pony. Von der netten Schankmaid... die Schankmaid... wie war doch gleich ihr Name?' Sie schüttelte den Kopf und atmete tief durch, in welche Richtung sollte sie nun gehen? Die Sonne war ihr noch immer keine Hilfe, versteckte sich lieber hinter den Wolken, mied dieses verdammte Stück Land. 'Ich mag Bree eigentlich nicht sonderlich...' Sie drehte den Kopf nach rechts. Ihr Blick folgte dem Verlauf des Pfades, stoppte aber schon bald abrupt an einem umgekippten Baum. Jener hatte sich quer über ihren vermeintlichen Ausweg gelegt und dessen gewaltige Krone verhinderte jedes weiterkommen. Beide Augen verengten sich nachdenklich. 'Wein. Ja, wir brauchen mehr Wein! Aus dem Auenland!'

Es dauerte erneut seine Zeit, ehe sich ihre Gedanken geordnet hatten. War es ein Wink des Schicksals? Sollte sie also linkerhand des Weges gehen? Was blieb ihr auch anderes übrig? Und so traf sie ihre Wahl, dreht sich nach links und lief einfach drauf los. Sie dachte nicht mehr darüber nach, wohin sie dies alles führen könnte. Ob nun zurück in bekannte Gefilde oder weiter hinein in das unbekannte Dickicht. Die Gleichgültigkeit hatte sie wieder erfasst. Ihre Schritte trugen sie voran, aus dem schmalen Pfad wurde ein immer breiterer Weg, die Bäume und Büsche indes vereinzelten sich zusehends und gaben den Blick auf immer größere Flächen frei. Ihrer Umgebung schenkte sie längst keine Aufmerksamkeit mehr.

'Was wohl aus meiner Katze geworden ist?'

Ob es nun Schicksal war oder einfach nur Glück.. ob sie eine oder viele Stunden so daher ging... wer vermochte es zu sagen? 'Ach, das Meer... mehr Meer... viel mehr Wasser!' Aber als sie ihren Kopf irgendwann endlich wieder anhob, war der Berg mit dem hoch oben aufragenden Leuchtfeuer nicht zu übersehen. Sie schnappte nach Luft, es hätte wohl ein Schluchzen werden sollen, und starrte gebannt auf das, was nun zu ihrer Rettung werden könnte. Sie kannte dieses Leuchtfeuer und so langsam bekam sie eine Ahnung davon, wo sie war. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, schnell war ihr klar, wohin sie der Weg führte, wollte sie nicht hier in der Gegend ihr Ende finden. Und sie wusste auch, was sie zurücklassen musste. Es versetzte ihr einen bitteren Stich und sie schluchzte erneut, aber sie setzte ihre Schritte entschlossen fort. Irgendwann vernahm sie das Rauschen eines Flusses. Es war der Grenzfluss, welcher Rohan von Gondor trennte. Am Ufer einer kleinen Furt angekommen drehte sie sich ein letztes mal um und blickte hinter sich.
'Dies ist nicht das Ende! Ich suche weiter!'

Ihre Füße kannten von nun an den Weg. Ihre Beine trugen sie tapfer und treu weiter. Sie erreichte die erste, grenznahe Siedlung. Erreichte das dortige Gasthaus. Sie aß reichlich von Irgendetwas. Trank ausgiebig von Irgendetwas. Und sank am Ende auf ihr Nachtlager. Der Schlaf übermannte sie augenblicklich. Ein tiefer, langer und seit ewiger Zeit endlich erholsamer Schlaf.
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Beitrag von Ellj »

Momente des Zorns

Mit gehörig Wut im Bauch und mit fest vor dem Oberkörper verschränkten Armen, fast als wollte sie diesen Groll an eben jenen Ort halten, stapfte sie von ihrem Lagerplatz kommend in Richtung des großen Tores, von dem aus sie vor unzählbar vielen Tagen bereits einmal den verzweifelten wie fehlgeschlagenen Versuch wagte Ehrk zu finden. Diesmal jedoch steuerte sie einen Haufen Stroh, oder war es Heu, unweit der Pforte an. Sie schmiss sich mit dem Rücken gegen den Heuballen und ließ sich langsam daran hinab zu Boden sinken, ihre Stimmung war erkennbar mehr als nur übellaunig. Anders als sie es erwartet hätte, verströmte der Haufen nicht den angenehm würzigen, beruhigenden Duft von frischem, locker aufgeschichteten Heu, sondern verbreitete seine eher muffigen, staubig alten Ausdünstungen. Sie knurrte bissig ihr Selbstmitleid hinaus, gerade so laut, dass sich die Wache am Tor bemüßigt fühlte einen kontrollierenden Blick in Ellj's Richtung zu schicken. Sie schüttelte den Kopf und wedelte abweisend mit der Hand, sodass der Mann ebenso schnell davon absah, weiter Notiz von der Gestalt am Heuhaufen zu nehmen und sich wieder seinem Wachdienst widmete.

'Was bildete sich dieser.... dieser Kerl nur ein?' Schoss es ihr mit aufgebrachter Stimme durch den Kopf. Der Fremde kannte Ehrk nicht und wagte es sich dennoch, ihm zu unterstellen, er hätte Ellj einfach in dieser verdammten Gegend - im Schlaf - im Stich gelassen. Nein mehr noch, womöglich hat er sogar beide Pferde mitgenommen, damit sie hier festsaß?! 'Wieso sollte Ehrk ein solch abscheuliches Verhalten an den Tag legen? Nichts, aber auch gar nichts hat bisher darauf hin gedeutet, dass man ihm so etwas auch nur im entferntesten zutrauen könnte! Und welchen Sinn sollte dies haben, welches Ziel sollte er damit verfolgen wollen?'

Wieder und wieder schüttelte sie energisch mit dem Kopf, in dessen innerem ihre Gedanken wild durcheinander kreisten. Erneut stieg die Entrüstung in ihr auf und trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht. Sie schnaufte einige male verächtlich aus und ließ den Heuhaufen hinter sich ihren Ärger spüren, indem sie mit der fest geballten Faust kräftig hinein schlug. Das Heu gab erwartungsgemäß widerstandslos nach und der daraus aufsteigende, muffige Staub begann ihr allmählich in der Nase zu jucken. Und überhaupt, was war nur in sie gefahren sich diesem... Eorlinga, wie er sich nannte, anzuvertrauen? Schlimmer noch, mit ihm allein nun auch noch in dieser mehr und mehr hassenswerten Gegend herum zu ziehen?

'Wie kann man nur so unendlich naiv sein, Ellj? Nichts weißt du von dem... andererseits, willst du das überhaupt?' Nun wollte er mit ihr auch noch nach dem Pferd suchen, mit dem sie, noch in Begleitung, hier ankam. Was um alles in der Welt sollte sie mit diesem Vorschlag seinerseits anfangen? 'Ich suche doch nicht das Pferd, ich suche Ehrk!'

Wieder schüttelte sie ihren Kopf. Fast ertappte sie sich dabei, wie sich die Hoffnung in ihre Gedanken schlich, sie mögen das Pferd vielleicht doch schnellstens finden, auf das diese unerfreuliche... Bekanntschaft ein baldiges Ende finden möge. Dabei war sie dem Mann zu Anfang doch so dankbar gewesen. Für seine unerwartet schnelle Zusage, ihr bei ihrer Suche helfen zu wollen. Sie biss sich schmerzhaft auf die Lippe, als sie darüber nachdachte, wie verzweifelt und verwirrt... wenn nicht gar vollkommen durchgedreht sie vor einigen Abenden im Gasthaus von Edoras auf ihn gewirkt haben musste. Umso erstaunlicher, dass er sich ihr Gestammel in ruhe anhörte und sogar seine Unterstützung anbot. "Ich bewache Euch... !" hatte er nun zum Abschluss ihrer wenig erbaulichen Unterhaltung verlauten lassen. Es klang eher wie ein - ich bewache Euch, vor Euch selbst... -

„Pah!“ entkam es unbeabsichtigt ihrem Mund, während ihre Gedanken weiter giftend umher zogen. 'Als ob es jemanden bräuchte, der auf mich aufpasst. Und wenn dann... dann ganz sicher nicht so ein... so ein...' „Bauerntölpel!“ keifte sie unerwartet laut und grimmig.

„Was habt ihr da gerade eben zu mir gesagt?“ Die Worte schoben sich mit einem gereizten Unterton in ihr Bewusstsein. Sie zuckte erschrocken zusammen und sah sich überrascht nach der Herkunft der Frage um. Ihr suchender Blick endete ein weiteres mal an der Wache. „Wie meintet ihr?“ entgegnete sie, dabei möglichst unschuldig klingend, dem Mann. „Ihr nanntet mich einen Bauerntölpel?“ kam es, mit noch immer erbost klingender Stimme zurück. Ellj stöhnte leise auf. Was nur stimmte mit dieser vermaledeiten Gegend nicht, dass diese sich wieder und wieder gegen sie zu verschwören schien? Es bedurfte so einiger Beteuerungen, es handle sich um ein Missverständnis, bis sich der Wachmann schlussendlich überzeugen ließ.

Es war an der Zeit ihre Verärgerung wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie hob das Kinn und sah nach oben, lauschte den Pferden im Stall nebenan, atmete viele male mit bedacht ein und aus, ehe sie langsam zu merken begann, wie sich ihr Herzschlag beruhigte und die rasenden Gedanken in ihrem Kopf abebbten. Sie schloss die Augen. Nicht um zu schlafen, wohl aber um ihre Umgebung nicht mehr ertragen zu müssen.

Mit einem mal war es ihr, als rieche sie nicht mehr das staubige Heu im Nacken, sondern als trüge eine feine Brise einen salzig frischen Meeresduft in ihre Nase.

Sie hörte auch nicht mehr das Scharren der Pferdehufe, sondern das wohlbekannte Kreischen der vielen Möwen.

Sie saß nicht mehr in einer trostlosen und staubigen Festung, sondern stand an den Meeresklippen unweit der Mauern Dol Amroths.

Und plötzlich stellte sie fest, dass sie auch nicht mehr allein war. Ihr Vater hatte sich zu ihr gesellt. Wie viele Jahre hatte sie es doch vermieden, es sich gar verboten an ihn zu denken? Ein Gefühl von Trauer und Reue stieg unweigerlich in ihr auf. Sie wollte etwas sagen, wollte erklären, wollte sich entschuldigen aber sie konnte es nicht. Ihr Vater indes legte wortlos seinen Arm um ihre Schultern und zog sie schützend an sich heran. Wie er es früher immer getan hatte, wenn sie ihr Weg bei all ihren Ausflügen jedes mal wieder an diese Stelle der Küste führte. So blieben sie stehen und sahen einfach nur hinaus auf das weite Meer. Bis Ellj, zumindest für jenen Moment, ihren Frieden wiederfand.
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Ellj
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Aufbruch zwischen Licht und Dunkelheit

Es kam ihr vor, als wären sie schon seit etlichen Stunden auf dem staubtrockenen Weg unter ihren Füßen unterwegs. Jeder für sich allein, gemeinsam. Beide redeten über all die Stunden hinweg kein einziges Wort miteinander. Sie und scheinbar ebenso der Eorlinga, der immerzu einige Schritte vorweg lief, hingen jeweils in ihrer eigenen Gedankenwelt fest und wollten sie dabei unter keinen Umständen mit dem Anderen teilen. Die Landschaft um sie herum war unaufgeregt und das Wetter schien sie auch nicht weiter stören zu wollen, es war sogar unerwartet warm und freundlich. Selbst sämtliche Gefahren, die dieser Landstrich nach Aussage des Eorlinga bereithielt und welche wohl erst dafür sorgten, dass ihr die eine Begleitung abhanden kam und die Nächste zu lief, blieben bisher erfreulicherweise fern. Sie kamen ausgesprochen gut voran und so waren der Vorschlag ihrerseits, eine kurze Rast einzulegen, nach all der ganzen Zeit des zusammen allein Wanderns, die ersten gesprochenen Worte seit dem Aufbruch.

Er wirkte einverstanden, zumindest deutete sie das tonlose Nicken einfach mal so.

Noch ein Stück weiter des Weges, an einem Bach unweit ihres Pfades, blieb der Eorlinga stehen und begann sich nach einem geeigneten Rastplatz um zu sehen. Zu ihrem Glück dauerte die Suche nicht sehr lang und ihre Begleitung fand eine zufriedenstellende Stelle, ein Stück abseits der Straße, nahe eines Abhangs, geschützt von Felsen und Bäumen. Noch immer schien er wenig Interesse an einem Gespräch. Er setzte sich vielmehr an einen der Bäume, legte sein Schwert zu seinen Füßen ab, nahm seine Armschienen von den Armen und begann sie seelenruhig, mit Hilfe seines Umhangs, sorgfältig zu putzen. Sie beobachtete das Ganze eine Weile lang mit hochgezogenen Augenbrauen, dann zuckte sie mit den Schultern 'Soll mir nur recht sein'.

Ellj wandte sich der Umgebung zu und überließ den Eorlinga sich selbst. Sie streifte eine kurze Zeit lang umher, folgte dem Bachlauf, fand einen Weg am Abhang hinab und entdeckte unterhalb des Hangs einen kleinen See. Er lag spiegelglatt, glasklar und ruhig vor ihr. Es ging kaum Wind und so trieb nahezu nichts das Wasser geräuschvoll plätschernd gegen das naheliegende Ufer, an dessen steinigem Rand ein mächtiger Baum empor wuchs. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und sah sich prüfend in alle Richtungen um. Niemand war zu sehen. Sie entschied umgehend, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und endlich -nach Wochen- den ganzen angesammelten Dreck von ihrem Körper zu waschen. Gesagt, getan ging sie hinüber an den Baum, sah sich nochmals genaustens um, legte ihr Bündel ab, schlüpfte aus ihrer Jacke, Stiefel und Hose, die dünne Unterkleidung hingegen ließ sie an.

Vorsichtig ließ sie die Zehenspitzen ihres rechten Fußes ein Stück weit in das ausgesprochen klare, sich ruhig vor ihren Augen ausbreitende Wasser hinein gleiten. Umgehend zog sie darauf scharf die Luft durch ihre zusammengebissenen Zähne ein und konnte dem Drang, den Fuß wieder aus dem Nass zu befreien nur mit großer Mühe widerstehen. Es fühlte sich an wie ein Peitschenschlag oder wenigstens das, was sie sich unter Selbigen vorzustellen vermochte. Es war kalt, um nicht zu sagen saukalt. Und das, obwohl sie von Kindesbeinen an immerzu im Wasser zu finden war. Sie konnte sich zumindest spontan nicht daran erinnern, je eine sich bietende Gelegenheit ausgelassen zu haben. Das Meerwasser war mit Sicherheit niemals wärmer gewesen, als dieses Seewasser hier. Ihr wurde nur überdeutlich bewusst, dass ihr letztes Bad im Meer schon viel - viel - viel zu lange her war.

'Früher hat es mir nicht solche Schwierigkeiten bereitet einfach hinein zu hüpfen' seufzte sie, gab sich einen Ruck und ging vorwärts. Der Boden fiel schnell und steil ab, sodass sie sich schon nach wenigen Schritten zeternd, zitternd und bis zum Oberkörper im Wasser stehend wiederfand. Sie schnappte unentwegt weiter nach Luft, als wäre sie minutenlang unter Wasser gewesen, dabei waren ihre Haare noch vollkommen trocken. Es brauchte einen erneuten, gedanklichen Anschub 'Memme', ehe sie es endgültig schaffte ins Wasser zu gleiten. Sie atmete tief ein, hielt die Luft an und tauchte ab.

Es fühlte sich noch genauso an wie früher. Ihr war, als falle alles Gewicht von ihrem Körper ab und sie schwebte dahin, leicht wie eine Feder. Dann erst bemerkte sie die Stille. Nein, keine vollkommene Stille, denn ihren Herzschlag, den vernahm und spürte sie hier lebendiger und kräftiger als es ihr sonst je möglich wäre. Ellj's Blick richtete sich nach oben in den blauen Himmel und das vom Wasser gebrochene, funkelnd tanzende Sonnenlicht. Der Baum am Ufer war von ihrer Stelle aus noch gut zu erkennen und schien ein fast schon lustiges Eigenleben zu entwickeln. Die Äste wellten und bogen sich ununterbrochen aufs Neue, beinah als wollte sich der Baum fröhlich beschwingt durch den Sonnentag walzen. Ihre rötlichen Haare umwehten ihren Kopf, schwebten ebenfalls munter umher und brachten so noch mehr Bewegung in den Anblick. Friedlich und heiter kam ihr dies alles vor und entlockte ihrem Mund ein kleines Lächeln.

Dann jedoch senkte sie den Blick und sah hinab an ihre Füße. Unter diesen begann das tiefe, schwarze Nichts. Von je her rief dieser Anblick ein unbestimmtes aber ausgesprochen starkes, beklemmendes Gefühl in ihr hervor. Es kam ihr vor, als würde dort, tief unter ihr, im Dunklen etwas lauern. Sie beobachten. Auf den richtigen Moment warten um herauf zu schießen und sie sogleich, ohne erbarmen mit sich in die Tiefe hinab zu reißen. Der Gedanke ließ sie erschaudern. Sie öffnet ihren Mund, aus welchem umgehend einige Luftblasen entkamen und nach oben trudelten. Ellj konnte ihren Herzschlag spüren... schneller... lauter... dröhnender... mittlerweile nach Luft schreiend, vor allem aber vor Angst donnernd. War da was? Sie hielt still, ihr Blick huschte verzweifelt durch die grausame Dunkelheit... suchend... hatte sich da nicht gerade doch etwas unter ihren Füßen bewegt? Durchzogen da nicht doch ganz plötzlich feine, rot aufglühende Fangarme das Schwarz?
Panik stieg in ihr auf und lähmte sie nur noch mehr. Sie konnte ihren Blick nicht mehr von der undurchdringbaren Welt unter sich abwenden. Hatte gar das Gefühl, mehr und mehr zu ihr hingezogen zu werden. So schwebte sie zwischen dem Licht und der Dunkelheit, unfähig sich aus ihrer ängstlichen Erstarrung vor dem Einen zu lösen um sich dem Anderen zu zuwenden... und die Zeit verstrich. Es war letztendlich ein überwältigender Drang zu atmen, der sie aus ihrer Schockstarre erlöste... gerade noch rechtzeitig. Ihre Lungen brüllten und gierten panisch nach Luft. Sie drückte sich mit Armen, Beinen und all ihrer Kraft gegen die Dunkelheit ab und durchstieß so die Wasseroberfläche.....

Die Augen vor Angst geweitet, den Mund zum schreien geöffnet schreckt sie hoch, stößt sich von dem Baum, an dem sie eben noch lehnte aufspringend ab und kommt benommen torkelnd zu stehen. Viele male atmet sie keuchend ein und aus. Ein Traum... nur ein Traum. Die Haare kleben ihr pitschnass geschwitzt in Strähnen über das ganze Gesicht. Notdürftig sammelt sie soviel es geht zu einem Zopf am Hinterkopf zusammen, während sie sich nach ihrem Haarband umsieht und es schließlich nutzt um den Zopf zu festigen. Noch immer fällt es ihr schwer, ihre Sinne zu sammeln und die Angst abzustreifen. Nur langsam nimmt sie ihre Umgebung nun wieder wahr, erkennt erst jetzt die alte Lagerstelle, an der sie zu oft schon erwachen musste und schaut sich verzweifelt an dem Platz um.

Er steht unten, am Stall, unweit der Straße, der Eorlinga. Stumm und starr. Scheint einfach nur vor sich hin zu blicken... trübsinnig... auf entkräftende Weise müde... und, wie sie wiederholt feststellen musste, auf irritierende Art empfindungslos. Ihr fällt schlagartig das Gespräch des letzten Abend wieder ein. Die wenigen Worte des Eorlinga ließen sie gestern geschockt und verunsichert in den Schlaf fallen. Fast meint sie, angst vor diesem Mann zu haben. Womöglich ja zurecht? Und nun soll sie allen ernstes mit ihm die Strecke bis Minas Tirith zurücklegen? Es fröstelt sie plötzlich. Zitternd zieht sie ihren Umhang enger um sich und sieht weiter hinunter zu dem Fremden. Der Fremde... sie nennt ihn für sich schon eine Weile nur der Eorlinga. Seinen Namen kennt sie nicht. Und im Grunde ist es ihr auch ganz recht so... mehr noch, sie hofft gar es möge sich kein Anlass ergeben, durch welchen sie seinen und er dann auch ihren erfahren müsste. Je weniger sie voneinander wissen um so besser. Sie atmet tief ein. Aber in einem hat er wohl recht. Es macht keinen Sinn mehr zu hoffen... zu warten... zu suchen. So lange schon, ohne auch nur ein einziges, winziges Lebenszeichen.

Sie reibt sich mit den Fingern der rechten Hand über die, vor Müdigkeit schmerzenden Augen. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen. Für sie beide. Sie konnte oder wollte ihre Suche und Hoffnung nicht aufgeben, er konnte oder wollte dies nicht verstehen. Sie irrte ziellos umher, er wollte dem Wurf einer Münze folgen... nach Osten. Sie ging irgendwann frustriert zurück nach Westen. Letzendlich waren sie wieder da, wo alles anfing... wie sehr sie doch diese verdammte Feste mittlerweile hasst. Doch das soll nun endgültig ein Ende haben.
Bis Minas Tirith, dann gehen ihre Wege wieder auseinander. Im Morgengrauen werden sie aufbrechen. Sie geht zurück an den Baum und setzt sich neben ihr Bündel, zieht die Beine dicht an ihren Oberkörper und wickelt den Umhang mitsamt der Arme so gut es geht um sich. Sie legt ihren Kopf zurück gegen das Holz und blickt hinauf in den wolkenverhangenen Himmel. Noch ist es Nacht.
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Ellj
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Familienbande

Die Sonne kitzelte sie recht früh schon aus dem Schlaf an diesem Morgen eines, alles für immer verändernden Tages. Ein sachter Wind, wie er am Meer selbst bei schönstem Wetter zu spüren ist, ließ die grün belaubten Äste des Baumes an ihrem Fenster auf und ab wogen, sodass sich das morgendliche Sonnenlicht mit dem Baumschatten ununterbrochen abwechselte um über ihr Gesicht und die Zimmerwände entlang zu tanzen. Irgendwann gesellte sich zu dem Sonnentanz auch ein munteres, gar freudig aufgeregtes Stimmengeschnatter und ließ sie neugierig werden. Als dann auch noch der zarte Duft frisch gebackenen Brotes... wenn nicht sogar Kuchens in ihre Nase drang, war Ellj nicht mehr im Bett zu halten.

Sie stolperte an ihrem Steckenpferd vorbei, welches artig die Nacht an seiner, ihm zugewiesenen Stelle des Zimmer verbracht hatte und sich heute noch etwas gedulden musste, ehe sie es füttern und ausführen würde. Es war ein Geschenk zu ihrem siebten Geburtstag gewesen, welcher nur einige wenige Monate zurück lag. Ihr war leider noch immer kein passender Name für dies edle Tier eingefallen. Sie öffnete die Tür einen Spalt breit, hing die Nase hinaus und atmete tief ein.

Es war Kuchen!

Die Tür sprang nun vollends auf und Ellj trappelte mit nackten Füßen und erwartungsfrohen Blick in den Flur ihres Elternhauses. Es war ein stattliches Haus, wie es sich für einen äußerst kundigen und hoch geschätzten Heiler einer Stadt wie Dol Amroth ziemte. Vater war es im Grunde egal, ihn zog es ohnehin zu jeder Gelegenheit in die Natur. Aber Mutter hatte es geschafft das Haus in ein ausgesprochen gemütliches Heim zu verwandeln, welches gern und oft von Freunden und allerlei anderen Besuchern ihrer Eltern aufgesucht wurde. Es war immer etwas los im Haus, es wurde immer viel gelacht und es gab eigentlich immer auch Kuchen. Aber heute war etwas anders, dies merkte sie recht schnell, als sie die Küche mit blinzelnd schlaftrunkenem Blick betrat. Die Küchenmagd, eine rundliche - immer gut gelaunte - freundliche - etwas ältere Frau, welche hier war seit Ellj denken konnte, grüßte sie überschwänglich und schob ihr einen Teller voller Kuchen vor die Nase.

Komisch... sonst bekam Ellj immer einen, wenn auch nicht ernst gemeint strafenden Blick und einen klitzekleinen Patsch auf ihre Finger, wenn sie versuchte sich ein Stück eines frischen Kuchens zu stibitzen. Und heute gleich ein ganzer Teller voll? Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und schnappte sich ihre Beute, ehe es sich jemand anders überlegen könnte. Mit dem nicht mehr ganz so vollem Teller in der Hand ging sie weiter durch die Zimmer des Hauses, in Richtung des Sprachgewirrs, welches sie in ihrem Bett schon vernommen hatte. Es lag eindeutig etwas in der Luft. Die Dienerschaft sprang aufgeregt umher oder stand in kleinen Grüppchen zusammen und schnatterte oder aber lachte Ellj freudig entgegen und fragte ob sie denn auch schon so aufgeregt sei, wegen der sich ankündigenden Ankunft eines neuen Familienmitgliedes. Natürlich war ihr nun klar, weshalb im Haus eine solche Aufregung herrschte und auch sie hatte diese nun gepackt. Es zog sie in Richtung des Zimmers, in dem ihre Eltern schliefen und aus dem an diesem Morgen ab und zu die mal jammernde, mal stöhnende, mal schimpfende Stimme ihrer Mutter zu hören war und Ellj ein wenig irritiert dreinschauen ließ. Sie konnte es sich nicht erklären, wieso sich alle freuten, während es Mutter offenkundig nicht so gut zu gehen schien. Wenngleich ihr jeder versicherte, dass sie sich diesbezüglich keine Sorgen machen musste, so hinterließ es bei ihr doch ein seltsam mulmiges Gefühl.

Der Tag schritt voran. War die Sonne am Morgen in ihrem Fenster noch freudestrahlend aufgegangen, so sah Ellj sie nun durch ein Fenster im Zimmer neben dem ihrer Eltern, in einem ungewöhnlich kräftigen Rotton untergehen. Die Heiterkeit im Haus war einer, sich langsam einschleichenden Unruhe gewichen. Zwar versuchten sich alle ihr gegenüber nichts anmerken zu lassen, aber ihr seltsam mulmiges Gefühl vom Morgen hatte sich über den Tag hinweg mehr und mehr gesteigert. Sie wurde zur frühen Abendstunde in ihr Zimmer geschickt. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit ehe sie in einen unruhigen Schlaf versank.

Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter gedreht. Dicke, dunkle Wolken versperrten die Sicht zur Sonne und kündigten ein Unwetter an. Der Wind war schon eher ein Sturm und schlug die Äste des Baumes wütend klopfend an ihr Fenster. Sie ging schnurstracks an die Tür und sah ängstlich hinaus. Es war still, eine spürbare Schwere hing im Haus. Sie schlüpfte in den Flur und durchquerte ihr Zuhause. Irgendwer hatte die Fenster mit Tüchern verhüllt, sodass diese fast völlig den kargen Rest des ohnehin geringen Tageslichts auffraßen. Die Wenigen, die durch das Haus schlichen taten wortlos ihre Arbeit und wichen ihren Fragen so weit es ging aus. Die Küchenmagd brach wieder und wieder seufzend in Tränen aus. Ellj ahnte, dass etwas nicht stimmte.
Einige Tage lang blieb dieser Zustand so, währenddessen sie sich mehr und mehr in ihrem Zimmer verkroch. Sie wusste nun, was geschehen war.

Ganz unvermittelt klopfte es irgendwann durchdringend laut an die Haustür. Kaum, das die Magd selbige geöffnet hatte, drängte sich jemand auch schon hinein, stand alsbald mitten im Haus und sah sich angespannt um. Eine resolute, ältere Frau ... Ellj's Großmutter. Sie hatte die Heilerin erst einige wenige male gesehen und kannte sie kaum. Was sie wusste war, dass Vater und sie sich in keinster Weise ertragend konnten. Warum, das blieb ihr ein Rätsel. Es kam zu einem lautstarken, gereizten Wortwechsel zwischen den Beiden, an dessen Ende Ellj in Zimmer ging um einige Kleidungsstücke zu packen. Ein letztes mal fiel ihr Blick auf das namenlose Steckenpferd. Das Tier stand allein, traurig und verlassen in der Ecke ihres Raumes. Ellj konnte fühlen, wie sich ihre Augen mit Tränen zu füllen begannen.

Die alte Heilerin indes fackelte nicht lang und zog das weinende Mädchen aus ihrem Zimmer, dann aus dem Haus, aus der Stadt, weg von der Küste an der sie bisher aufgewachsen war. Der Weg führte die Frau und das Kind einige Tagesreisen weit gen Osten, nach Imloth Melui. Die Heimat der Alten, einst Mutters Heimat und nun auch die von Ellj. Es war ein friedlicher Ort, geeignet um zur Ruhe zu kommen. Die Großmutter kümmerte sich liebevoll um sie. Gemeinsam betrauerten sie den Verlust von Mutter und Tochter … von Bruder und Enkel.

Mit der Zeit begann sie, die Heiler bei deren Arbeit zu beobachten. Sie lernte sogar ein wenig, wie man sich um Kranke und Verletzte kümmerte. Besonders gern sah sie den Kräuterkundigen bei ihrer Arbeit zu. Sie liebte den Duft frischer und getrockneter Heilkräuter, las Bücher über jene und wusste irgendwann genau, welches Kraut man für ein bestimmtes Leiden nutzte und was es bewirken konnte. Einige Male führte sie ihr Weg sogar bis nach Minas Tirith zu den dortigen Häusern der Heilung. Ellj war stets fasziniert von jener imposanten Stadt.

So vergingen zwei Jahre. Der Moment des Abschieds von ihrer Großmutter rückte näher, als ihr Vater eines Tages kam um sie nach Hause zurück zu holen. Zurück nach Dol Amroth.

Die alte Heilerin setzte sich auf einen Stuhl, nahm Ellj an die Hand und sah sie mit eindringlichem Blick an, während sie mit ruhiger Stimme zu sprechen begann. „Ich bin überzeugt davon, Ellj, wenn wir einen Ort verlassen, dann geht nur ein Teil von uns weg. Ein anderer Teil bleibt für immer zurück. Gehe dahin, wo du Zeit mit deiner Mutter verbracht hast ... wo es ganz still ist … lausche nur und nach einer Weile wirst du das leise Echo all eurer Gespräche hören und all eure Liebe spüren, die ihr füreinander empfunden habt.“ Sie gab Ellj zum Abschied einen Kuss auf die Stirn. „Gilt das auch für dich?“ rief sie fragend ihrer Großmutter nach, als sie an der Hand ihres Vaters schon einige Schritte aus dem Haus gegangen war. „Eines Tages wird das auch für mich gelten, meine kleine Ellj.“

„ … Ellj! … Ellj? … Hörst du, Ellj?“ Irgendetwas rüttelt an ihr. Wieder und wieder. Sie sieht auf ihre Hände, sieht ihre in den anderen Händen liegen. Sie gehören zu einer der anderen Heilerinnen hier, eine alte Freundin ihrer Großmutter. Die Frau sieht sie äußerst besorgt an und redet ununterbrochen auf Ellj ein. Welche Worte sprach sie noch gleich? Plötzlich lösen sich die Hände, umfassen Ellj auf Schulterhöhe und ziehen sie zu einer Umarmung an sich heran. Leise flüstert eine traurig stockende Stimme in ihr Ohr „Es tut mir so leid Ellj, so entsetzlich leid!“ . Ellj nickt als Antwort. Etwas anderes fällt ihr in dem Moment wohl einfach nicht ein. Zwei Jahre ist es her, dass ihre Großmutter verstarb. Das Herz, so hört sie immerfort. Schnell und friedlich, betont man. Ein gutes, langes Leben, versichert man ihr immer wieder, während sie still schweigend Richtung Ausgang geht.

'Zwei Jahre zu spät zurückgekehrt!' ist alles, was sie im Moment denken kann. So steht sie plötzlich wieder vor der Tür und sieht sich hilf- und ziellos um. 'Und was mache ich nun?'

Sie weiß, wie sehr sich ihre Großmutter immer wünschte, dass auch Ellj hier als Heilerin bleiben würde. Aber die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Zuviel hat sie über die letzten Jahre wieder vergessen. Sie fühlt sich noch nicht bereit dafür, mehr noch, sie will nun nicht mehr hier bleiben. Es drängt sie danach diesen Ort wieder zu verlassen. Ihr Blick fällt auf den Weg, an dessen Ende der Eorlinga vermutlich auf sie wartet. Eigentlich sollten sich ihre Wege in Minas Tirith trennen und doch ist er noch immer da. Mittlerweile beginnt sie sich gar, zum eigenen erstaunen, an die Anwesenheit des kauzig wirkenden Mannes zu gewöhnen.
Da steht sie und weis mit einem mal nichts mehr mit sich anzufangen. Er hatte sie klaglos bis nach Minas Tirith gebracht. Nun würde sie ihn an sein Ziel … das Meer führen. Und dann, so hofft sie, werden sie endgültig quitt sein.
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Ellj
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Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort

Beitrag von Ellj »

Hektisch kratzt die Federspitze über leicht vergilbtes Pergament und fügt so nach und nach Wörter zu Sätzen zusammen. Es bleibt nur wenig Zeit.
Nervös flackert der warme Lichtschein einer Kerze. Fast vollständig herab gebrannt, erhellt sie die, in Stille und Dunkelheit erstarrte Umgebung nur noch spärlich. Die Hand, welche jene Feder führt, hält inne, setzt den Kiel ab und taucht die Spitze, von Eile getrieben, unsanft in das Tintenfass unweit des Pergaments. Etwas von der Tinte löst sich von dem Schreibzeug, perlt herab und mischt sich als unansehnliche Kleckse zwischen aber auch über die bereits hinterlassenen Worte.
Die Zeit reicht nicht mehr, um den Brief nochmals und mit mehr Sorgfalt zu verfassen.
Mit dem letzten Schriftzug hat die Feder ihre Schuld getan. Hastig wird das Pergament zu einem Brief zusammengefaltet. Das Siegelwachs, nahe der Lichtquelle, wird für wenige Augenblicke über den kaum noch brennenden Docht gehalten. Lang genug, um die Botschaft mit einigen Tropfen Wachs versiegeln zu können. An jedem der herabfallenden Tropfen klammert sich die verzweifelte Hoffnung, dass nur die richtigen Hände das Siegel wieder brechen würden.

- Es ist vollbracht. -

Die Aufmerksamkeit wendet sich ab von der fertig verfassten Nachricht und richtet sich schwermütig auf etwas anderes. Weit weniger unscheinbar, als das alte Stück Pergament. Es wird einen anderen Weg nehmen müssen, obgleich es das selbe Ziel zu erreichen sucht. Ein goldenes, im erlöschenden Lichtschein warm glänzendes Medaillon. Es fesselt den Blick, unvernünftig lang und lässt in Erinnerungen entschwinden ... lässt unachtsam werden. Sacht, gar liebevoll streichen Finger über den mittig darauf eingefassten, blutroten Rubin.

Ein lauter Schlag gegen die hölzerne Tür löst die Gedanken aus der Vergangenheit und bringt sie zurück in den dunklen, kalten Raum. Ein weiterer, drängender Schlag mahnt eindringlich zur Eile. Die eine Hand greift rasch nach dem Brief, die Andere umfasst fest das goldene Medaillon. Schwere Stiefelschritte verlassen schleppend das Zimmer in Richtung Tür.
Der Geruch eines verbrannten Kerzendochtes ist alles, was zurück bleibt.

Nur einen Spalt weit öffnet sich die Tür, das muss reichen.

Es regnet in strömen. Man kann den Regen in der Dunkelheit nur schwerlich sehen, dafür aber um so lauter hören. Er scheint jedes andere Geräusch förmlich zu verschlingen.
Große, schwere Tropfen prasseln unentwegt auf die Gestalt vor der Tür ein. Deren Umhang hält dem schon längst nicht mehr stand, dient allenfalls dazu sich unerkannt in die Nacht einzufügen. Die völlig durchnässte Kapuze hängt zu tief im Gesicht, als dass man erahnen könnte, ob es wirklich der erwartete Bote ist. Eine geöffnete Hand löst sich aus dem Schatten des Umhangs heraus und hält wenige Augenblicke lang abwartend inne. Doch da ist Misstrauen, welches die Herausgabe des Briefes verzögert.

Worauf wartest du? Es ist keine Zeit mehr!

Die bekannte, ungeduldig raunende Stimme lässt das Zögern verschwinden. Der Brief wechselt, durch den Türspalt hindurch, zügig den Besitzer und taucht unter dessen Umhang ab. Der Bote nickt wortlos, dreht sich sogleich um und verschwindet zwischen Dunkelheit und Regen. Nun bleibt nur noch die Hoffnung, dass die Nachricht ihr Ziel rechtzeitig erreichen wird.

Der Griff um das Medaillon in der anderen Hand festigt sich kurzzeitig. Ist es doch alles, was geblieben ist. Dann gleitet es an seiner feingliedrigen Kette hängend auch schon über den Kopf um den Hals. So verbleibt es vorerst sicher und verborgen unter der Kleidung. Die Zeit des eigenen Aufbruchs ist gekommen. Still wandert ein trauriger Blick ein letztes mal umher. Es kostet Kraft, nicht erneut mit den Gedanken in endgültig vergangene Zeiten zu entgleiten.
Ein weiteres mal öffnet sich die Tür auf den Weg, hinaus in die verregnete Nacht. Keinen Moment zu spät um vor den Schatten zu verschwinden, die sich bereits dem Haus nähern.
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Ellj

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Ellj
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Ellj

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(Part 1/2)

„Etwas muss schief gegangen sein!“ Diese Erkenntnis bohrt sich mit jedem Tag, der mit warten vergeht, tiefer ins Bewusstsein hinein. Zur Untätigkeit verdammt, hoffen und gedulden. Wie zermürbend das Warten doch ist, ein Gegner den man selbst kaum bezwingen kann. Nicht zuletzt jedoch wird der Aufenthalt mit jedem weiteren Tag unsicherer.
Warten...

Der Treffpunkt schien gut gewählt. Zwar nicht auf halben Wege zwischen Dol Amroth und Imloth Melui, so aber doch zur etwa gleichen Zeit erreichbar, in Anbetracht der Tatsache, dass der Bote Zeit braucht um an sein Ziel zu gelangen.
Warten...

Ungeduld und Sorge haben ein Ausmaß erreicht, das in die Knie zwingt. Sie drängen danach, den Weg nach Imloth Melui anzutreten und zu erkunden, was passiert sein mag. Nur noch einen weiteren Tag.
Warten...

Ich werde gehen.

(Part 2/2)

Ziellos und ein Brief

Ihr Blick glitt langsam über die rarer werdenden Grasdünen hinweg, dann über den schmalen Streifen Sandstrand, weiter zu den schaumig wiederkehrenden Uferwellen, hin zu dem grünlich glitzernden Meerwasser und von dort aus auf das scheinbar endlos weite Meer. Wie lang hatte sie diesen Anblick nicht mehr gesehen, das Rauschen nicht mehr gehört, das Salzwasser nicht mehr gerochen? Eilig entledigte sich sich ihres Bündels, der Jacke und ihrer Stiefel. Der Anstand gebot es, ein Stück abseits des Eorlinga an das Ufer zu treten, selbst wenn er sie im Augenblick ohnehin nicht wahrzunehmen schien. Sie ließ sich in den nassen Sand fallen und stellte ihre Füße in das immerzu wiederkehrende Wasser. Ein wenig sanken sie in den wasserumspülten Sand ein. Sie blickte zurück.

Er hatte nun endlich sein Ziel erreicht, hatte den Wunsch des unglücklichen und einsamen Kindes erfüllt, von dem er einige Tage zuvor erzählte. Wann es wohl verstorben sein mag? Etwas neugierig fragte sie sich weiter, weshalb er sich dem Kind so verpflichtet sah. Wenigstens er.
Sie lächelte sacht und nickte, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Wasser.

Und sie?

All ihre Ziele schienen nach und nach einfach weggebrochen zu sein... hatten sich wortlos verflüchtigt... waren ihr durch die Finger geronnen wie der Sand, nach dem sie in dem Moment griff, nur um ihn sogleich langsam wieder aus der geschlossenen Hand rieseln zu lassen. Sie atmete einige male tief ein und aus, schloss die Augen und lauschte. Fast als wollte sie möglichst viel von allem in sich aufnehmen, in der unheilvollen Ahnung, sie könnte das Meer schon bald wieder verlieren. Diese Ziellosigkeit fühlte sich plötzlich wie eine sich unangenehm ausbreitende Leere an. Was sollte sie nun tun? Wohin sollte sie nun gehen? Sie wollte noch nicht an den einen Ort und konnte nicht mehr an den Anderen. Sie hasste dieses lähmende Gefühl und sie hasste Abschiede.

Irgendwann musste er sich neben sie gesetzt haben. Irgendwie mussten sie sich sogar noch eine Zeit lang unterhalten haben. Der Name des Kindes war Ristred. Er versicherte ihr, es hätte nun seinen Frieden gefunden. Er wirkte plötzlich so unerwartet redselig. Es erstaunte sie ein wenig, waren ihre Gespräche bisher doch stets auf das Notwendigste beschränkt geblieben. Er wollte auf dem Heimweg noch einige Tage in Imloth Melui verweilen und dann auf seinen Hof zurück kehren. Er wirkte in der Rüstung die er seit dem Tag, an dem sie aufbrachen trug, eher wie ein Soldat. Sie waren nun quitt und da Ellj sich ohnehin nicht als die angenehmste Reisegefährtin herausgestellt haben dürfte, drängte es sie mit einem mal danach aufzubrechen. Jede Widerrede seinerseits war zwecklos. Sie hielt den Abschied kurz und ging. Sie hasste Abschiede.

Eine Weile streifte sie umher, ein oder zwei Tage verbrachte sie an einem kleinen Lagerplatz. Irgendwann erreichte Ellj den einzigen Ort, der ihr in diesem Moment zu helfen schien, den sie immer aufsuchte, wenn sie nach Antworten suchte und vielleicht auch nach den vorangestellten Fragen. Sie tat dies, seit ihre Mutter verstarb und sie zu ihrer Großmutter kam. Ein See, umgeben von einem Wald, ein einzelner Baum direkt am Ufer. Alles glich auf unerklärliche Weise einem Traum, den sie seit ewiger Zeit immer wieder hatte. Warum, das blieb ihr ein Rätsel.
Sie versank ins Grübeln, zog sich in sich selbst zurück und dachte nach. Wie lange, wusste sie nicht.

„Es gibt Menschen, die kennen Eure Aufenthaltsorte recht gut... Ellj.“ Dieser eine Satz reichte, um sie aus ihrer Lethargie zu wecken. Erschrocken fuhr sie herum und sah den Eorlinga mit entsetzt aufgerissenen Augen an. 'Wie hat er mich gefunden? Woher weis er, dass ich hier bin? Wieso ist er hier? Wer hat ihm meinen Namen verraten?' Nun hatte sie ihre Fragen gefunden und forderte die Antworten ein.

Er hielt ihr einen Brief entgegen.

Dieser schien wichtig zu sein, wurde er wohl von der Großmutter weitergereicht an eine befreundete Heilerin und gelang nun zusammen mit dem bekannten Fremden zu ihr. Der Brief war etwa fünf Jahre alt, geschrieben von ihrem Vater, das war ihr sofort klar, nachdem sie ihn gelesen hatte. Und er warf neue Fragen auf. Die Nachricht musste Imloth Melui erreicht haben, nur Tage nachdem sie einst von dort aufbrach.

Der Inhalt war alles andere als beruhigend. Er wurde jedoch auch schlagartig zu etwas Anderem. Ein neues Ziel, welches so unvermittelt auftauchte, dass sie eigentlich erst ihre Gedanken hätte ordnen müssen. Stattdessen sammelte sie hastig ihre Habseligkeiten zusammen um aufzubrechen. Den Mann schien sie mit diesem plötzlichen Tatendrang etwas zu überrumpeln... oder sogar zu überfordern, aber auch er raffte sich schließlich auf. Schon im Gehen begriffen, drehte sie sich zu ihm um: „Wie ist nun eigentlich euer Name?“ Er schaute Ellj für einige Augenblicke stumm an, ehe er knapp antwortete: „ ... Ristred.“
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Zu einer anderen Zeit

Beitrag von Ellj »

Die Dunkelheit schützt auf dem Weg, verlangsamt aber ebenso das Vorankommen. Da mir auch der Mond keine Gesellschaft leistet, ist es umso schwerer die Pfade zu finden.
Wie ein verdammter, gesuchter Verbrecher ...

In Imloth Melui ist es nicht besser. Hinter Bäumen und Sträuchern versteckt, im Dunklen, lässt sich kaum etwas herausfinden, geschweige denn jemand finden ...

„Was tust du da?“ Die forsche Stimme der Alten ist unverkennbar, die gegenseitige Abneigung ebenso. "Wonach sieht es denn aus?" antworte ich betont trocken, während ich mich zu ihr umdrehe. "Du bist ein elender Strauchdieb! Ich wusste es von Anfang an! Erst bringst du meine Tochter ins Grab und nun meine Enkelin in Gefahr!" keift sie mich an. "Und du findest selbst in einer solchen Lage noch Gelegenheiten, mir unentwegt Vorwürfe zu machen! Aber dies ist jetzt eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt! Wo ist sie? Wo ist Ellj?". Die Alte sieht mich pikiert an, schnauft besonders verächtlich, scheint sich dann aber der Tatsache selbst bewusst zu werden. Ich seufze unweigerlich, beim Anblick ihres leuchtend weißen Haarschopfes. Da ist es tatsächlich unnötig, sich hinter Sträuchern zu verstecken, also trete ich aus Diesen hervor und sehe mich prüfend in alle Richtungen um. Einst hatten ihre Haare eine rotblonde Farbe. Den Rotton gab sie an Tochter und Enkelin weiter. Als wollte sie mir immer wieder deutlich vor Augen führen:

„Sieh da! Wir gehören hier nicht her!“

"Sie musste verschwinden. Vor Tagen schon. Dein Bote war zu langsam! Er überbrachte den Brief zwei Tage zu spät.". Ich kann ein kurzes Fluchen nicht unterdrücken, nicke ihr aber verstehend zu. "Der Bote?" frage ich sie beiläufig. "Reiste recht schnell wieder ab. Hatte es wohl eilig.". Die Neuigkeit lässt mich einen Augenblick lang nachdenken, die Lage neu bewerten. "Was wird nun mit dem Brief?" unterbricht sie fragend die Stille. "Behalte ihn. Vielleicht wird er irgendwann nochmal nützlich sein." Nun nickt sie. "Was glaubst du, wohin sie gegangen ist?" Sie fixiert mich mit ihren Augen, abfällig wie immer, ihre Stimme klingt triumphierend "Du weißt genau, was ich ihr geraten habe, wohin sie gehen soll!". Ich hebe unwillkürlich beide Arme, meine Stimme klingt fassungslos "Rohan?! Was verdammt nochmal soll sie denn da? Sie kennt weder das Land noch die Menschen dort! Von den Gefahren auf dem Weg dahin, will ich lieber garnicht erst anfangen zu sprechen!". Die erste Antwort darauf ist ein wütend blinzelnder Blick, gefolgt von einem ausdrucksstarken Schnauben "Sie kennt mich und sie ist clever genug um einen Weg zu finden, sich in Sicherheit zu bringen. Du solltest deine Tochter besser kennen."

Es braucht eine Weile, bis ich mich gesammelt habe und mit gefasster Stimme weitersprechen kann "Könnte ihr jemand gefolgt sein?" ... "Nein, ich glaube nicht." ... "Glaubst du oder weißt du?" raune ich sie mittlerweile hörbar genervt an. Ein Blick der Tote töten könnte ist wohl alles, was ich als Antwort erwarten kann, also nicke ich. "Gut." Ich greife gleich darauf in meinen Beutel, den ich schon immer am Gürtel mit mir trage. Zwischen niedergeschrieben Rezepten und allerlei anderer Notizen findet sich ein leerer Papierfetzen und ein Stück Schreibkohle. Mit ungewollt sarkastisch klingender Stimme spreche ich weiter "Sollte sie wider erwartend doch nicht nach Rohan gegangen sein und hierher zurückkehren ..." während ich rede, notiere ich ein Wort auf dem Fetzen, zügel meine Stimme und spreche ruhiger weiter "... ich werde nach Minas Tirith weiterziehen und dort eine Zeit lang auf sie warten. Sie findet mich bei diesem Mann ... " der Fetzen wechselt den Besitzer "... sollte sie währenddessen nicht auftauchen, hinterlasse ich bei ihm eine Botschaft und breche selbst nach Rohan auf ... um sie dort zu suchen.".
Wir sehen uns beide lange gegenseitig in die Augen. Bei aller Abneigung füreinander, wenn es um die Familie geht, ziehen wir an einem Strang.

"Über das Gespräch hier sollten wir stillschweigen bewahren. Es ist besser, wenn niemand erfährt, dass ich hier war." erwähne ich schließlich noch und bereite mich auf meine Abreise vor. "Natürlich! Was denkst du von mir? Hältst du mich für eine Tratsche ... ?" mokiert sie sich beleidigt, redet dann aber ruhig weiter "Jedoch ... in Anbetracht meines Alters und ... zumindest was den Brief angeht, werde ich eine der Heilerinnen einweihen und sie um Hilfe bitten. Zur Sicherheit!" fügt sie beschwichtigend an. „Du bist dir sicher, dass man ihr vertrauen kann?“ frage ich sie mit ernstem Blick. „Ja. Pass auf dich auf … und finde meine Ellj“ sind ihre Worte zum Abschied. Sie dreht sich, auf ihren Stock gestützt um und geht langsamen Schrittes davon. „Unsere … ja.“ werfe ich noch ein, jedoch bleibt dieser Einwand unbeantwortet.

'Rohan ...' denke ich erzürnt und schüttel ungläubig den Kopf, während ich meinen Weg in der Dunkelheit wieder aufnehme.
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Ellj
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Kreise

Ob morgens, mittags oder abends, der Himmel schien stets die gleiche, bedrohliche Wolkenfarbe zu haben, ein glühendes Orange welches hier und da in ein hitziges Rot wechselte. Nur an wenigen Stellen drang ein fahles Blau durch die Wolkendecke hindurch.

Sie senkte langsam den Blick und starrte gleichgültig vor sich auf den staubigen Erdboden. Es fiel ihr für diesen Moment leicht, keinen klaren Gedanken zu fassen. Jede Faser ihres Körpers schien sich geradezu dagegen zu wehren. Warum auch herum grübeln? Wie oft hatte sie dies in den letzten Tagen und Wochen wieder und wieder getan? Oder war es mittlerweile gar ein Monat und mehr her, dass sie zuletzt an diesem Ort saß und sich schwor niemals wieder hier her zu kommen? Sie seufzte laut und sah sogleich erschrocken nach rechts. Ristred saß mit etwas Abstand neben ihr. Wie eigentlich immer, wenn sie eine Rast einlegten, hatte er sich gegen den Felsen gelehnt, die Augen geschlossen und atmete ruhig und tief. Vermutlich wäre so mancher, der ihn in diesem Moment sehen würde der Meinung, einen Schlafenden vor sich zu haben. Ellj war sich da jedoch nie so sicher. Sie hatte immer das Gefühl, er wäre auch in solchen Momenten stets wachsam und hätte innerhalb eines Augenblicks die Hand an seinem Schwert, würde es die Situation erfordern. Und er hätte vermutlich längst am Geruch erkannt, wer ihn da um seinen Schlaf brachte.
Sie musterte Ristreds Gesicht auf Anzeichen, die diese Annahmen hätten bestätigen können, oder aber ob ihn ihr lautes Geseufze womöglich einfach nur beim ruhen störte.

Sie fand nichts dergleichen.

'Ein Bauerntölpel bist du ganz sicher nicht, Ristred.' ging es ihr ganz plötzlich durch den Kopf und sie musste tatsächlich ein wenig lachen, bei dem Gedanken. Sie konnte sich mit einem mal nicht mehr genau erklären, wieso sie noch Wochen zuvor stets auf alles, was er sagte und tat mit bloßer Abneigung reagiert hatte. Aber es war so vieles passiert seitdem. Genug, um vielleicht ein gewisses Maß an gegenseitigem Vertrauen zu erlangen? Zumindest hatte er ihr gegenüber das eine oder andere von sich preisgegeben. Weit mehr jedenfalls, als sie es ihm gegenüber getan hatte. Aber sie tat sich auch seit jeher schwer damit, etwas über sich zu erzählen.
Sogleich fiel ihr ein Moment am See wieder ein, als er ihr den Brief überbrachte und erstaunt feststellte, sie hätte, wohl wegen der unerwarteten Nachricht ihrer Großmutter, so auffällig gute Laune. 'Ich glaube, das hat wohl nichts mit dem Brief zu tun.' war ihre eilige Antwort darauf gewesen. Wieder musste sie leise lachen. Sie hatte sich damals tatsächlich darüber gefreut, das vertraut gewordene Gesicht wiederzusehen, obgleich es doch erst ein oder zwei Tage her war, dass sich ihre Wege scheinbar endgültig trennten. Aber das würde sie ihm natürlich niemals verraten, warum auch?
Genauso wenig, wie sie ihm die Frage stellen könnte, warum er ihr nicht von der Seite wich. Jedes mal, wenn ihre Wege doch kurzfristig auseinander gingen, geschah dies wegen ihr. Er blieb, wenngleich er doch ihrer Meinung nach keinerlei Grund dafür hatte. Von Ehrk hatte sie das erwartet und war entsprechend verletzt, als er verschwand. Ristred hingegen schlug jede Möglichkeit zu gehen aus, die sie ihm anbot.

Sie hob den Kopf und sah gen Westen. Dahin, wo Ristred's Heimat lag und wohin sie ganz offensichtlich gerade unterwegs waren. Überraschend plötzlich sogar. Noch Tags zuvor waren sie in Minas Tirith. Jeder der Beiden suchte jemanden, keiner der beiden hatte das Glück die gesuchte Person anzutreffen. Stattdessen tauchte Ristred mit einer Zeichnung auf, welche Ellj in etwas jüngeren Jahren zeigen sollte und die er ihr mit dem Verweis – eine gesuchte Diebin – in die Hand drückte.
Ihr war völlig unklar, was das Ganze zu bedeuten hatte, aber mit einem mal ging alles ganz schnell. Sie verließen Minas Tirith, liefen und liefen stundenlang und nun fand sie sich hier wieder.

Sie versuchte sich auf den Gedanken zu konzentrieren, was sie tun sollte, nachdem sie beide ihr neues, vermeintliches Ziel bald erreicht haben würden? Ristred musste zurück auf seinen Hof, wurde vermutlich sogar schon sehnsüchtig erwartet.
Und sie?
Wurde sie noch verfolgt, von jenem der die Heilerin in Imloth Melui auf dem Gewissen hatte? Und wo sollte sie weiter nach ihrem Vater suchen, nun da sie in Minas Tirith keinen Erfolg hatte und dort seine Spur jäh abbrach? 'Ich glaube als Magd tauge ich nicht wirklich viel.' hatte sie auf Ristreds sicherlich sehr nett gemeintes Angebot, vorerst auf seinem Hof zu bleiben, geantwortet. Aber … wenn sie in diesem Augenblick ehrlich zu sich selbst sein sollte … sie hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Mal wieder, oder war es diesmal doch anders?
Ja, denn es war ihr egal.
Sie atmete tief durch und lauschte in sich hinein. Alles was sie fand, war eine unerwartet müde Stille. Über Ehrk hatte sie schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr nachgedacht. Ihren Vater weiter zu suchen schien ihr nur noch absurd und aussichtslos. Herum zu grübeln, was sie nun tun sollte wurde ihr zunehmend lästig. 'Vielleicht einfach hier sitzen bleiben?' kam es ihr in den Sinn. 'Oder den weiten Weg zurück nach Bree, ins Pony und … und … ach saufen bis nichts mehr rein geht...'. Sie seufzte ob der Alternativen, die sie zu haben glaubte.

Leise stand sie auf, ging einige Schritte davon und kletterte auf den Felsen, gegen den sich Ristred unten gelehnt hatte. Sie setzte sich und starrte erneut nach oben. Der Himmel schien ihr diesmal einfach nur seltsam grau.
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Ellj
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Beitrag von Ellj »

Ein anderes Leben?

Was kann man hören, wenn man einfach nur die Augen schließt und lauscht? Wenn man all dem eine Möglichkeit gibt von sich zu erzählen, was man ansonsten des öfteren einfach überhört? Wenn man nicht antworten muss, weil es keiner Antwort bedarf?

Man hört ein wildes durcheinander von Gesängen und Getriller verschiedenster Vögel. Einige unter ihnen lassen wahre Kunststücke erklingen, in jeder Tonhöhe und Lautstärke. Andere krächzen so ungelenk, dass es fast in den Ohren schmerzt. Aber Ellj lauscht dennoch weiter. Worüber sie wohl erzählen, wehklagen oder schwatzen mögen?

Darüber legt sich der leise, sachte Wellenschlag am Ufer des kleinen Sees, den der sanfte Wind hervorruft, indem er das kalte Wasser immer wieder gegen die steinige Uferböschung drückt und die mitgebrachte, frische Bergluft in ihr Gesicht weht. Fast wie ein Herzschlag klang es. Ein ruhiger und unaufgeregter Herzschlag, der nicht den Eindruck hinterlässt, als würde er jederzeit mit einer drohenden Gefahr rechnen.

Und da ist das beruhigende Rauschen der Bäume, ein leises knacken der Äste im Wind, die etwas abseits hinter ihr stehen und zwischen denen sich auch das Rascheln eines Eichhörnchens wiederfindet, welches flink über den Boden huscht, ehe es sicher den nächsten Baum erklimmt um in dessen grüner Krone zu verschwinden. Wie viel diese Bäume wohl schon gesehen haben mögen, in ihrem bereits so lang gelebten Leben?

Aus weiter Entfernung kann man hin und wieder Asca oder vielleicht auch Myne bellen hören. Sicher weisen sie gerade das eine oder andere Schaf oder Huhn zurecht. Aber ihr bellen scheint nicht das einer aufmerksamen Wache zu sein, die etwas verdächtiges erspäht hat.

Die Sonne scheint, wenngleich es noch früher Vormittag ist, schon recht wärmend auf Ellj herab und lässt die Wasserbewegungen glitzernd in ihrem Gesicht widerspiegeln, fast tanzen gar. So hell, dass sie es durch ihre geschlossenen Augen hindurch zu sehen glaubt. Alles an diesem Ort wirkt auf sie so friedlich, dass es ihr unendlich schwer fällt, dies mit den Dingen in Einklang zu bringen, die sie bisher von Ristred zu hören bekam oder zumindest meint, heraus zu hören. Hier konnte der kleine Ristred doch unmöglich aufgewachsen sein?


Ansonsten hörte sie nichts an diesem Morgen, auf dem kleinen Holzsteg, der ein Stück weit in den See hinter dem Hof ragte. Es war einfach nur still und einsam, aber auf eine sehr angenehme Art einsam. Auch von ihr war in diesem Moment weder ein Geräusch zu vernehmen noch eine Bewegung zu erkennen. Ellj saß einfach nur da, mit dem Rücken gegen einen Stegpflock gelehnt, die Beine an den Oberkörper heran gezogen, die Arme wie zum Schutz darum gelegt, sodass sich ihre Hände etwas oberhalb ihrer nackten Füße trafen. Die Stiefel hatte sie im Haus zurückgelassen. Das Schuhwerk wurde die letzten Wochen wahrlich oft genug getragen.
Sie öffnete ihre Augen und sah vor sich auf das teilweise schon leicht verwitterte, morsche Holz. Vor ihren Zehenspitzen lagen einige kleinere Steine, sorgsam zu einem Haufen aufgeschichtet. Sie hatte sie am Ufer gesammelt und dann vor sich abgelegt. Langsam löste sich eine ihrer Hände und nahm einen der Kiesel auf. Ellj betrachtete das Gestein eine Zeit lang, dann warf sie es mit Schwung ins Wasser. Das dumpfe Geräusch des Aufpralls unterbrach nur für einen kurzen Moment die friedliche Ruhe, dann bildete sich auch schon der erste Wellenkreis um jene Einschlagstelle und breitete sich schnell aus. Es folgten noch einige mehr.

Ellj hoffte inständig, dass dieser Anblick sie nur einen Moment lang noch fesseln mochte, ihre Gedanken beginnen würden zu wandern und Kreise zu ziehen, ähnlich jenen, welche der Stein auslöste, als er ins Wasser fiel. Irgendetwas jedenfalls, um der Langeweile und der unausweichlichen Unruhe zu begegnen, die sie in ihrem Innersten zu spüren begann. Warum nur war sie nicht in der Lage, längere Zeit an einem Ort zu verbringen, ohne den Drang zu verspüren, wieder zu verschwinden?
Erneut schloss sie die Augen und atmete tief die erfrischende Luft ein.
Aber es geschah ... Nichts. Ihr Kopf wollte sich nicht so recht mit Gedanken füllen.
Sie versuchte zu überschlagen, wie viele Tage vergangen sein mögen, seit sie in Edoras auf Ristred traf und beide gemeinsam ihre Reise begannen. Schnell verwarf sie dies jedoch wieder, denn sie hatte wohl über all den gegangenen Wegen, unerwarteten Ereignissen, vergeblichen Suchen und aufflammenden Gesprächen jegliches Zeitgefühl verloren.
Nun jedoch kam es ihr vor, als klebte jeder Augenblick zäh an ihr fest, wie Pech.

So verharrte sie und lauschte, wie sie es auch schon die letzten Tage tat, seit beide den Hof erreicht hatten.

Der vorläufige Endpunkt ihrer ereignisreichen Reise. Obgleich ihr Ristred bereits erklärt hatte, dass sie nur einige Tage hier verweilen wollten. „Für einige Tage sollten wir uns hier ausruhen. Die nächste Wegstrecke wird weit. Laut den Karten? Sehr weit.“ Sie hatte vor erstaunen ganz vergessen sich nach dem Grund ihrer weiteren Reise zu erkundigen, lediglich nach dem Ort, an den sie gelangen wollten, fragte sie ihn. „Zum Langen See. Zur einer Stadt dort. Mehr kann ich auf den Karten nicht erkennen.“
Und so grübelte sie nun für sich daran herum.
'Was konnte nur so wichtig sein, dass es ihn von hier wieder weg zog? Jemals weggezogen hatte?' Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl, soweit war sie sich sicher. Irgendjemandem gegenüber, oder Irgendetwas? Und der Wunsch, seine Heimat irgendwann in einem friedlicheren Zustand zu hinterlassen, als er es selbst in seinem Leben erfahren musste, ja.
Die Frage wollte ihr aber dennoch nicht aus dem Kopf gehen. Schließlich machte es auf sie sogar vielmehr den Eindruck, als wäre er befreiter, als hänge weniger Last an ihm, seit sie hier ankamen.
Welchen Grund also konnte es noch geben?

Vor denen, die sie womöglich verfolgten, wähnte er sich und sie hier auf dem Hof doch in Sicherheit. Ohnehin gab es keinen Grund mehr ihnen zu folgen, schließlich hatten sie jede Spur ihres Vater verloren und Ellj konnte sich nach wie vor nicht erklären, was zu alldem überhaupt geführt haben mochte. Vielleicht hatte man ihre überstürzte Abreise aus Minas Tirith auch gar nicht bemerkt und jede Sorge über mögliche Verfolger wäre unberechtigt. Oder könnte es auf ihren weiteren Wegen womöglich neugierige, geradezu auf sie wartende Augen und Ohren geben, die scheinbar wichtige Informationen weiter tragen und sie somit verraten würden?
Sie schüttelte den Kopf. Ristred schien sich darüber weitaus mehr Gedanken zu machen, als sie selbst es bereit war derzeit zu tun.
Da war es dann wohl wieder, sein Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl. Auch wenn sie ihn darum sicherlich nicht gebeten hatte. Es schien zu tief in ihm zu stecken.

Ellj räusperte sich, sie fand eindeutig, dass sie mittlerweile begonnen hatte zu viel über ihn nachzudenken. Deutlich zu viel.
Ganz allmählich hatte sich bei ihr wohl etwas wie Mitgefühl, aber auch Verbundenheit eingeschlichen. Sie war sich nicht sicher, ob dies auf den Mann zutraf, der seit geraumer Zeit alle Wegstrecken mit ihr ging. Ganz sicher war es aber dem Kind gegenüber, welches er einmal war und von dem er ihr schon einige Male erzählt hatte. Vielleicht lag es an dem Teil ihrer beiden Schicksale, die sie jeder für sich erlebten, aber doch irgendwie miteinander teilten.
Im Gegensatz zu ihm, hatte sie bisher nichts darüber erzählt, dass auch ihre Mutter ihr Leben verlor, als sie Neues schenken wollte.
Ellj konnte den kleinen Jungen förmlich vor ihrem inneren Auge sehen ... wie einsam, hilflos und verlassen er sich in seiner Verzweiflung und Trauer gefühlt haben musste, ohne Antworten auf seine Fragen. Sie kannte es, sie wusste es.
Allein bei dem Gedanken daran spürte sie, wie sich plötzlich alles in ihr begann zusammen zu ziehen, ohne dass es ihr möglich war sich dagegen zur Wehr zu setzen. Sie festigte den Griff ihrer Arme, welche sie noch immer um ihre Beine geschlagen hatte, als wollte sie sich in diesem Moment selbst halten. Sie legte ihre Augen auf die Knie, damit der Stoff ihrer Hose die Tränen gleich wieder verschwinden lassen konnte, die mittlerweile kaum mehr unterdrückbar waren.

Sie hätte ihn sehr gern kennengelernt und wäre ihm, so gut es gegangen wäre, beigestanden ... diesem kleinen Ristred … so wie der Mann, zu dem er geworden war, es nun fraglos für sie tat. Es mag nur ein Wunsch gewesen sein, aber er saß tief.

„Er wurde zu mir.“ sagte er ihr in einem Gespräch. Einfach so. Dieser eine, kleine Satz, er machte sie noch immer fassungslos und sie fragte sich, was er wohl dachte, zu welchem Mann er hätte werden können … hätte werden wollen, wenn sein Leben einen anderen Weg gegangen wäre. Was hätte wohl der Kleine geantwortet, hätte man ihn nach seiner Zukunft gefragt? Sie versuchte sich an den Klang seiner Stimme zu entsinnen, als er über sich selbst sprach und ihr dies sagte. Ellj war sich nicht mehr sicher, erinnerte sie sich an Wut? … Abscheu? … Resignation? … Trauer? … Bestürzung? Oder war da nichts davon? 'Gar nichts.' stach es ihr in den Kopf und ließ sie erschauern. Sie konnte sich an keinerlei Gefühlsregung in seiner Stimme erinnern.
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Kleine dies so gewollt hat, aber er hatte wohl einfach keine andere Wahl.

Ellj schluchzte noch eine ganze Zeit lang leise vor sich hin, es fügte sich irgendwie ein … in all die anderen Geräusche am See. Irgendwann hob sie den Kopf, löste die Arme von ihren Beinen und sah blinzelnd in die Sonne. Mit ihren Händen wischte sie die Tränen, so gut es ging von den Wangen, denn der Stoff konnte schon längst keine mehr auffangen. Sie drehte sich ein wenig, rutschte auf dem Holzsteg ein Stück weit zum Rand hin und beugte sich, soweit es ihr Gleichgewicht zuließ nach vorn, um in den See hineinblicken zu können. Ihr Antlitz spiegelte sich auf dessen Oberfläche, es sah mitgenommen und müde aus. Der Zopf hatte sich teilweise gelöst, ihre Haare hingen strähnig herunter oder ergaben sich den Launen des Windes.
Durch die Wellen des Wassers wirkte ihr Gesicht unruhig... unstet, so wie sie war. Ständig änderte sich sein Ausdruck. Es war immerzu in Bewegung, man hätte es unmöglich festhalten können, auf dass es aufhören möge sich zu bewegen. Sie musterte sich lange selbst, ehe sich wieder klare Gedanken zu bilden begannen. Eigentlich war es in diesem Moment nur Einer: 'Zu wem bin ich geworden?'

Sie fand keine Antwort, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.
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Ellj
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Zu einer anderen Zeit

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Es hilft ja nichts. Ich muss es mir wohl oder übel langsam eingestehen. Ich bin längst nicht mehr der Jüngste ... der Weg von Minas Tirith gen Rohan war, gelinde gesagt ... verdammt noch mal ... anstrengender als ich es gedacht hätte. Vor allem aber war er viel zu gefährlich. Wie konnte sie Ellj nur auf eine solche Reise schicken?
Ich kann nur hoffen und muss darauf vertrauen, dass mein Kind eine Möglichkeit gefunden hat.
Lange wartete ich in Minas Tirith und klammerte mich an die Hoffnung, dass Ellj doch noch ihren Weg zu mir finden möge. Vergebens. Und da ich die Gastfreundschaft meiner Freunde lang genug schon nutzte, sie gleichfalls nicht länger der Gefahr aussetzten wollte, mit mir gesehen zu werden, beschloss ich letztendlich, gen Rohan zu ziehen. Natürlich nicht, ohne Ellj etwas Wichtiges zu hinterlassen, sollte sie doch jemals nach Minas Tirith kommen. Damit sie weiß...

Müde, alte Knochen ... sie waren um so viele Jahre jünger, damals, als ich ihre Mutter zum ersten mal sah. In einem der vielen kleinen Gärten der Stadt. An einem Brunnen sitzend. Ein Buch locker in der Hand haltend, darin so sehr vertieft, dass sie mich nicht wahr nahm. Ihre rotblonden Haare leuchteten wie Feuer in der Sonne an jenem späten Nachmittag. Einige Wassertropfen des Springbrunnens hatten sich wie ein sachter Schleier auf ihr Haupt gelegt und verstärkten so das Leuchten nochmals um ein Glitzern. Ja, ich erinnere mich an diesen Augenblick, fast als wäre es erst gestern gewesen. Und dann … lachte sie ganz unvermittelt los. Dieses Lachen … das eine zierlich kleine, so zart wirkende Frau so laut und durchdringend lachen kann, es faszinierte mich von dieser Sekunde an jedes mal aufs Neue. Ein fröhliches, ansteckendes und einnehmendes Lachen. Und ich war verloren. An diese junge Frau aus Rohan, welche zusammen mit ihrer Mutter, einer Heilerin, eine Zeit lang in Minas Tirith weilte um alte Freunde zu sehen und um neues Wissen der Heil- und Kräuterkunde zu erlangen.
Wie schwer, schier unerträglich es nun ist, all diese Orte, Plätze und Straßen wieder zu sehen. Ohne sie. An den Brunnen in dem kleinen Garten konnte ich nicht gehen.

Das Schicksal wollte es damals, dass auch ich zu diesem Zeitpunkt in der Stadt war. Aus sehr ähnlichen Gründen sogar. So ähnlich, dass es fast unausweichlich erschien, dass sich unser beider Wege dabei trafen und recht schnell zu einem werden wollten. Was würde ich nur dafür geben, sie noch einmal sehen zu dürfen. Wie ähnlich Ellj ihr doch sieht. Ihr Medaillon, welches nun ich trage, es ist ein Erbstück, weitergegeben von der Mutter zur Tochter. Sie trug es damals bereits. Es sollte Elljs werden, an ihrem 18ten Geburtstag. Doch es kam anders und so verwahre ich es nun, bis es seine rechtmäßige Besitzerin findet ... hoffentlich bald findet.
Die Alte indes war alles andere als begeistert. Sie wollte ihre Tochter nicht an einen Mann aus Gondor verlieren, wenn schon ein Mann, dann doch gefälligst einer aus der Heimat. Sie sträubte sich mit Händen und Füßen gegen unsere Liebe, mit Wut und Gezeter, sie war vollkommen unnachgiebig. Was also blieb uns anderes übrig, als unsere Verbindung heimlich zu besiegeln, ohne Einverständnis der Alten und ihr Wissen darüber?

Ihr Zorn wird mich bis in alle Ewigkeit verfolgen.

Aber auch sie kehrte schlussendlich nicht nach Rohan zurück, sondern folgte ihrer Tochter und ließ sich in Imloth Melui nieder. Nah genug, denn alles andere hätte weder ich noch sie auf Dauer ertragen können. Wir aber gingen weiter, bis in meine Heimatstadt, Dol Amroth. Es waren so glückliche Jahre. Sie fehlt mir auch nach all der Zeit noch so schmerzlich, dass es mir fast den Boden unter den Füßen davon zieht, wenn ich an sie denke.
Über Rohan und ihrer beider Herkunft verloren wir, auf ausdrücklichen Wunsch der alten Heilerin, nie wieder ein Wort. Zu sehr schien sie die Erinnerung daran und der Verlust zu schmerzen und nach allem, was passiert war, wollten wir ihr dies nicht verwehren. So ist es der Grund, weshalb Ellj davon bisher nichts erfuhr. Oder hat sich dies bei ihrem letzten Aufenthalt in Imloth Melui geändert? Vielleicht hat sie noch eine Familie in Rohan?

Und nun bin ich also hier. Ein etwas größerer Ort, nicht weit entfernt von dem Fluss gelegen, der Gondor und Rohan voneinander trennt. Müde, hungrig und durstig entdeckte ich nach kurzer Suche ein Gasthaus. Nachdem ich beim Wirt ein Zimmer, eine ordentlich große Portion Eintopf, ein wenig Brot und einen Krug voll Bier geordert habe, fand ich mich auch schon an einem kleinen Tisch etwas abseits, sitzend wieder.

Nicht weit entfernt, an einem der anderen Tisch hocken einige, zumeist ältere Frauen und tratschen, vermutlich schon eine ganze Weile, miteinander. Eine von ihnen ist besonders laut und forsch. Sticht auf unangenehme Weise heraus. Ich komme nicht umhin, dem Gespräch zu folgen, so sehr ich mich auch bemühe meinen eigenen Gedanken nachzugehen und meine nächsten Schritte zu überlegen. Sie erzählt den anderen Weibern wohl von ihrer Tochter, welche zusammen mit dem Vater, einem alten Kaufmann, unterwegs ist und bald zurückkehren sollte. Alt genug wäre die junge Frau nun langsam und so wollte sie es doch nun endlich angehen und die Vermählung der Tochter, mit dem Sohn eines angesehenen Kaufmannes aus Edoras in die Wege leiten.
Das arme Kind.
Die alte Frau erinnert mich leidlich an Ellj's Großmutter. Ich schüttel den Kopf und muss dabei offenbar einen ausreichend lauten Ton voller Abneigung von mir gegeben haben, zusammen mit einem entsprechend grimmigen Blick, dass es die Aufmerksamkeit der Alten erregt hat. Gerade noch sehe ich, wie sie schnaufend Luft holt und zum keifen in meine Richtung ansetzen möchte. Es gelingt mir im allerletzten Moment das Brot in den Mund zu stecken, meinen Krug Bier in die eine, die Schale mit Eintopf in die andere Hand zu nehmen und schleunigst das Gasthaus zu verlassen.

Wahrlich es könnten glatt Schwestern sein.

An einem kleinen Teich, mitten im Ort, aber dennoch ruhig gelegen, setze ich mich, um endlich in Ruhe meinen Eintopf und das Bier zu mir nehmen zu können. Welch eine Wohltat, nach der Reise. Nun, das Brot schmeckt ein wenig anders, als unseres. Die Kruste ist nicht ganz so knusprig, aber sei's drum.

Edoras.

Vielleicht sollte auch ich dahin weiter ziehen. Es scheint mir nicht unmöglich zu sein, dass Ellj sich dort niedergelassen haben könnte. Einer jungen Heilerin werden sie hier sicher nicht abweisend gegenüber stehen.
Nachdem ich den Eintopf gegessen und das Bier getrunken habe, steht mein Entschluss fest. Ich werde, sobald als möglich, gen Edoras weiter reisen. Und auf mein Glück hoffen.
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Ellj
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Beitrag von Ellj »

Ich stamme aus Dol Amroth.
In jener stolzen Stadt also, wurde ich geboren und für eine sehr lange Zeit wäre es mir ein vollkommen abwegiger Gedanke gewesen, dass ich mein Leben woanders, als in dieser Stadt beenden würde. Das sich der Kreis für mich in Dol Amroth schließen würde. So sollte es doch sein!

Nun ja, heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Vielmehr wird es langsam zu einem abwegigen Gedanken, dass es noch je so kommen könnte.

Wie schon mein Vater und dessen Väter vor ihm, so wurde auch ich ein Heiler. Wenngleich ich im Laufe der Zeit ebenso meine Freude daran entdeckte, mein Wissen der Heilkünste an junge Menschen weiter zu geben, so blieb es doch meine Bestimmung Erkrankten zu helfen, wann immer sie meine Hilfe benötigten, ganz gleich ob arm oder reich, ob Fischer oder Edelmann. Ich würde natürlich niemals behaupten, ich hätte es je geschafft in die Fußstapfen meiner Vorväter treten zu können, jedoch wurde meine Heilkunst zweifelsohne in allen Kreisen Dol Amroths hoch geschätzt.

Das Leben dieser Stadt ist seit jeher vielschichtig. Es gibt die Stände der Handwerker und jene der Händler, die fleißig ihren Tagewerken nachgehen und Dol Amroth florieren lassen. Es gibt die Gelehrten und Heiler, weit über die Mauern hinaus bekannt für ihr Wissen und ihre Künste. Nicht unerwähnt bleiben sollten auch solche, denen das Meer eine Heimat geworden ist und die sich nur dann und wann innerhalb der Mauern unserer Stadt aufhalten, sie jedoch ebenso stark prägen, die Seeleute. Nicht zuletzt war Dol Amroth schon immer auch eine stolze Festung in der sich zu jeder Zeit einfache Soldaten, aber auch edle Ritter aufhielten. Sie alle haben ihren festen Platz im Gefüge der Gemeinschaft. Ihnen allen hat Dol Amroth zu verdanken, das es zu dem wohlhabenden Ort wurde, der er ist.
Alldem voran stehen die adligen Familien, welche die Geschicke Dol Amroths lenken und verwalten, weit über die Stadt hinaus. Unter ihnen mag es Solche und Solche geben. Einige wurden mit die Zeit zu Freunden und Verbündeten, zu gern gesehenen Gästen und Gesprächspartnern, die oft in meinem Haus weilten, als meine Frau noch ein Teil meines Lebens war. Und da sind die Anderen, denen ich lieber fern blieb, wann immer sie meine Wege als Privatmann kreuzten. Höflich aber unverbindlich.

Ich bewegte mich in allen diesen Kreisen, mal als Heiler, mal als Freund und Vertrauter. Es war meine Pflicht all Jenen meine Heilkünste zugänglich zu machen, die es benötigten. Ich war da um vertrauensvoll zu helfen. Zu dieser Pflicht gehört es dabei ebenso, über alles stillschweigen zu bewahren, meine Patienten betreffend. Auf mich konnte man sich verlassen. Nicht selten konnte es vorkommen, dass man dabei Dinge erfuhr, welche nicht für die eigenen Ohren bestimmt waren. Und von denen man sich noch sehr sehr lange wünscht, dass das Schicksal gnädiger hätte sein können und das Wissen darüber lieber weiterhin vor einem verborgen geblieben wäre.

Das Leben in Dol Amroth mag für jemanden wie mich stets angenehm und voller Vorteile gewesen sein, doch auch ich war am Ende nicht sicher vor Ränkespielen und Intrigen, vor dem Übel, das nichts Gutes will. Und so kam der Tag, von dem ich nicht hatte ahnen können, wie sehr er die Bahnen meines Lebens verändern würde.
Ein Besorgnis erregend hohes Fieber, welches plötzlich auftrat und für das sich keine Gründe fanden, eben sowenig wie es sich so ohne weiteres wieder senken lassen wollte mit den üblichen Hausmittelchen, war es, was mich am frühen Morgen aus dem Schlaf holte und eiligst in eines jener Adelshäuser führte, um dass ich lieber einen großen Bogen hätte machen sollen. Ich weilte lange an der Seite des Erkrankten. Es war in der Tat schwierig gewesen, dem Fieber Einhalt zu gebieten, fast hatte ich sogar die Hoffnung aufgeben wollen und bereitete mich darauf vor, die Angehörigen wiederum auf das Schlimmste vorzubereiten. Das Oberhaupt der Familie schien den Kampf gegen die tödliche Glut in seinem Inneren nicht mehr gewinnen zu können.

Und so kam es, dass er in seinem Delirium, während einem der unzähligen Fieberschübe begann, unruhig erst einige wenige, dann immer mehr Worte mit heiserer Stimme zu sprechen. Mir schien fast, als verwechselte er mich dabei mit seinem ältesten Sohn, so vertrauensvoll weihte er mich ein in etwas, dass ein tiefes Grauen in mir hervor rief und von dem mir schlagartig klar wurde, in welche Gefahr es mich bringen konnte. Nun ist es nämlich leider so, dass man in Häusern wie diesem nie sicher sein kann, dass die Wände keine Augen und Ohren haben. Und so wusste ich in dem Moment, als ich dies verstand, dass ich etwas tun musste um mich zu schützen. Ich nahm mir meine Tasche, die ich immer bei mir trug und in der sich alles befand, was ich für meine Arbeit außer Haus benötigte. Ich musste nicht lange suchen und zog mein altes Notizbuch daraus hervor. Ein kurzes, trauriges Lächeln legte sich, bei dessen Anblick über mein Gesicht, hatte ich dieses Buch doch vor langer Zeit von meiner Frau geschenkt bekommen und auch Ellj besaß ein solches Buch. Beide glichen sich so sehr, dass wir sie nie unterscheiden konnten und nicht selten vertauscht hatten. Ich griff nach einem Stück Schreibkohle und begann, jedes Wort zu notieren, welches mir der Alte zuflüsterte.

So plötzlich, wie das Fieber kam, so schnell verschwand es am Ende wieder und mein Patient begann sich zusehends zu erholen. Er selbst schien keinerlei Erinnerungen an den Vorfall mehr zu haben, vielmehr glaubte ich mir seiner tiefen Dankbarkeit sicher. Als ich dann endlich das Krankenlager nach Tagen der Ungewissheit wieder verlassen konnte ... müde und ermattet von all den Anstrengungen ... gab ich mir nur einen kurzen Augenblick Zeit um darüber nachzudenken, welcher der nächste Schritt war, den ich nun zu tun hatte. Es war bereits Nachts und die meisten Familienmitglieder hatten sich in ihre Räume zurückgezogen, auch an ihnen war die Anspannung der letzten Tage nicht spurlos vorüber gegangen. Und so nutzte ich die Gunst der Stunde und brachte mein Notizbuch in Sicherheit.
Wie erwartet dauerte es nicht lange und man ließ mich zurück rufen, der Sohn der Familie wünschte mich zu sprechen. Auf ein vertrauensvolles Gespräch unter vier Augen. Mein Gefühl deutete mir schon da nichts Gutes.
Die Worte waren unmissverständlich. Die Erklärungen klar und deutlich, der Ton freundlich aber bestimmt und eiskalt.

Ich versuchte mein Möglichstes um mein Gegenüber davon zu überzeugen, dass wir uns in einer Pattsituation befanden. Denn so sehr es ihm erkennbar Recht gewesen wäre, das Problem ... mich ... aus der Welt zu schaffen, so erkannte auch er, dass es in meinem Fall nicht ohne weiteres möglich war. Ich hatte ein Faustpfand und ich war bereit es zu nutzen.
Zu meinem tiefsten Bedauern jedoch wusste aber auch die Gegenseite, dass es nicht vieles gab, womit man mich in der Hand hätte haben können, dafür jedoch etwas, welches mich ganz besonders angreifbar machte. Das Einzigste, das Wichtigste, dass ich noch hatte. Meine Tochter ... Ellj.

Und so sah ich mich gezwungen einen Pakt zu schließen.
Mein Wissen gegen das Leben meines einzigen Kindes.

Ellj war vorerst sicher, doch wäre ich nicht ich gewesen, hätte ich nicht dennoch versucht, alles in meiner Macht stehende zu unternehmen, im Verborgenen gegen meinen neuen Widersacher vorzugehen, denn die andere Seite wiederum, zählte ich zu jenen meiner Freunde.

Ich blieb still, jedoch nicht tatenlos. Mache man mir daraus einen Vorwurf, sei es Drum.

Lange konnte ich einen gut gewebten Schleier um all meine Bemühungen legen und Diese damit verbergen. Ich habe meinen Teil geleistet, der Intrige den einen oder anderen, empfindlichen Nadelstich beizufügen. Ich kannte die richtigen Leute und ich konnte mich auf sie verlassen.

Zumindest dachte ich das.

Aber das Schlechte lauert auch in denen, von denen man es nicht erwartet. Ich habe bis heute nicht herausfinden können wer mich letztendlich verriet und warum er dies tat. Und so geriet meine Tochter schlussendlich in den Fokus derer, vor denen ich sie lange zu schützen versuchte.
Unglücklicherweise fand sich an ihrem achtzehnten Geburtstag eine Gelegenheit ... vielmehr ein günstiger Vorwand ... zu handeln und das Problem nach langer Zeit und zu Guter Letzt doch noch aus dem Weg zu schaffen.

Erst sie, dann ich.

Nachdem Ellj die Stadt verlassen musste, war mir vollkommen klar, dass sie nun nicht mehr sicher war und ihr Leben somit in Gefahr war. Ich wusste, dass sie den Weg zu ihrer Großmutter gewählt hatte und eine Zeit lang konnte ich auch da noch für ihre Sicherheit sorgen, aber es war doch nur ein Aufschub des Unausweichlichen. Ebenso wusste ich, dass auch ihre Großmutter nicht tatenlos blieb. Obgleich sie nie ein Wort darüber verlor, so sehr bin ich mir nun, nach all den Jahren doch sicher, dass sie zu keiner Zeit den Kontakt zu ihrer Familie in Rohan verloren hatte. Das sie später stets im Bilde darüber war, wie es um ihre Enkeltochter stand. Und so kam es, wie es nun ist. Ellj hatte Glück im Unglück und entkam Denen, die nach ihr suchten.

Aber auch mein Brief erreichte sie nicht mehr.


Es ist nun schon so lang her, doch wenn ich meine Augen schließe, dann sehe ich sie wieder da stehen ... mein Kind ... auf der Straße vor den Toren Dol Amroths. Die Sonne hatte gerade damit begonnen sich den Tag zurück zu erobern und die weißen Steine der Stadtmauern mit einem warmen orange zu belegen. Die Luft war klar und noch angenehm kühl. Einige Vögel erwachten bereits aus ihrem Schlaf und grüßten mal zaghaft, mal energisch den neuen Tag. Lange standen wir einfach nur da und blickten in die Richtung des Weges, welcher an die Küste führte. Wie oft waren wir ihn schon gegangen? Gemeinsam, auf der Suche nach kleinen und großen Abenteuern. Und nun stand sie da, ein Häufchen Elend, mit hängenden Schultern und Tränen in den Augen, kaum in der Lage zu erfassen, was ihr in diesem Moment widerfuhr.
So verlor ich auch sie. Ich konnte Ellj am Ende ebenso nicht schützen, wie ihre Mutter, viele Jahre zuvor.
Die letzten Worte, welche ich damals an sie richtete, ehe sie sich umdrehte und davon ging, ich werde sie nie vergessen. Zu jener Zeit sollten sie ihr … und wohl auch mir …. Mut machen. Heute jedoch fürchte ich sie, wie keine Anderen. Denn was, wenn diese Worte tatsächlich die Letzten waren, die sie von mir hörte?

„Die Dinge haben sich verändert, Ellj und werden nie mehr so sein, wie sie waren. Aber wir sind Menschen Gondors. Wir haben gelernt, mit Veränderungen fertig zu werden, in der Zeit der Not zu triumphieren. Wir werden auch dies bewältigen. Wir haben keine andere Wahl.“
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Ellj

Beitrag von Ellj »

Drei Wege – Zeit aufzubrechen

„Ahhh ...“ entwich es Ellj, deutlich hörbar und mit einem anschließenden, so ausgiebigen wie zufriedenen Seufzer verbunden. Gemütlich räkelte sie sich auf dem hölzernen Stuhl des Gasthauses, drückte ihren Rücken genüsslich durch, streckte ihre Beine lange und weit unter dem Tisch vor sich aus und kehrte anschließend in die Sitzposition zurück, aus der heraus sie das kleine Glück eines anständigen Stuhls genoss. Wurde es ihr doch soeben klar, als sie die von Ristred vorgeschlagene Reiseroute gen Norden in Ruhe für sich überdachte, dass sie für eine lange Zeit vermutlich keinen so bequemen Stuhl mehr zu erwarten haben würde. Die nächsten Sitzplätze sollten die staubigen oder schlammigen, kalten und Ungeziefer durchseuchten Böden in unfreundlicher Umgebung sein. Mit Glück wenigstens an einem Lagerfeuer.

Recht kurzfristig erst hatte Ristred beschlossen, dass es Zeit wurde aufzubrechen. Eine neue Reise zu beginnen. Nicht ohne ihr die Wahl zu lassen, auch ihrer eigenen Wege zu ziehen. Aber sie fand, dass sie es ihm irgendwie schuldig war und entschied sich schlussendlich mit ihm zu gehen. Nur einen kurzen Umweg nach Edoras erbat sie sich, auf die Reiseroute und ihre, dafür recht dünne Jacke verweisend. Sie wollte sich eine etwas angemessenere Kleidung besorgen, ehe sie durch unwirtliche Gegenden ziehen würden. Und so kam es, dass sie noch weit eher in Edoras eintrafen, als die Händler ihr Tagwerk begannen. Sie entschieden sich dafür, die Warterei im Gasthaus zu überbrücken. Nach einiger Zeit beschloss Ristred für sich, nochmals bei den örtlichen Schmieden vorbei zu schauen, ehe sie sich endgültig auf den Weg machen wollten, brummte nur etwas von Kindertagen und verschwand gleich darauf auch schon nach draußen. Sie sah ihm hinterher und nachdem er durch die Tür verschwunden war glitt ihr Blick in Richtung der Theke hinüber, an welcher sich ihre Wege einige Wochen zuvor trafen und an der im Moment nur ein weiterer Gast saß. Der Wirt bereitete sich wohl bereits auf den Tag vor und schenkte ihr nur dann und wann kurz seine Aufmerksamkeit. So saß sie allein an ihrem etwas abgelegenen Tisch, im nahezu leeren Gasthaus und betrachtete nachdenklich ihr altes Bündel, welches sie recht achtlos auf Diesem abgelegt hatte … …


„Uahhh … “ polterte er laut und erkennbar gereizt, als er voller Unbehagen versuchte, auf den harten Stühlen aus Holz eine halbwegs angenehme Position zu finden, bei der ihm gefühlt nicht sämtliche Knochen im Leib zu schmerzen begannen. „Kennt das Volk Rohans denn nur unbequeme Stühle? Sitzt ihr etwa nicht gern? Ist es euch denn so zuwider den Pferderücken zeitweise gegen einen Stuhl tauschen zu müssen, dass ihr euch deshalb selbst bestrafen müsst, indem ihr Selbige möglichst unbequem baut? Was spricht gegen gepolsterte Stühle?“ Es war ihm nicht mehr möglich, seine Umwelt nicht an seiner allumfassenden Frustration teilhaben zu lassen. Die Blicke der anderen Gäste ließen bereits erahnen, dass man seiner Anwesenheit langsam überdrüssig wurde. Der Blick des Wirtes machte klar, dass er längst nicht mehr erwünscht war.
Einige Tage schon weilte er hier, hatte sich ein Zimmer genommen und die Zeit damit verbracht nach seiner Tochter zu suchen. Mit jedem Tag wurde er missmutiger und übellauniger, denn er fand … nichts. Nicht die geringste Spur, nicht das kleinste Lebenszeichen. Niemand wollte oder konnte ihm helfen, alle reagierten argwöhnisch und abweisend auf den neugierigen Fremden in schmutziger Kleidung und dies führte öfter und öfter zu lautstarken Auseinandersetzungen. Er hatte sich hier, seit seinem eintreffen, ganz eindeutig keine Freunde gemacht. Die Hoffnung, Ellj noch zu finden schwand währenddessen unweigerlich. Wo sollte er jetzt noch suchen? Welchen der schier unendlich vielen Wege, die sich vor ihm auftaten, sollte er gehen? Es war hoffnungslos, denn den Richtigen zu finden glich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Er hatte es satt... wollte sein altes Leben zurück, seine Tochter, seine überaus bequemen Möbel, welche in seinem überaus stattlichen Haus in Dol Amroth zu finden waren. Er hatte die Nase voll und ließ seine Umwelt nur all zu gern davon Kenntnis erlangen. Sein Blick fiel auf den hölzernen Tisch vor sich und wieder raunte er auf. Er konnte das Holz langsam nicht mehr sehen. Er konnte die Gegend nicht mehr ertragen. Seine Stimmung hatte einen derartigen Tiefpunkt erreicht, der drohte, ihn in einen dauerhaft gereizten, streitsüchtigen alten Mann zu verwandeln. Aber dies war ihm längst gleichgültig.
Er wusste, dass er bald von hier verschwinden sollte, nur wohin?
Starr und grübelnd sah er den hölzernen Tisch an und so sehr er auch ahnte, dass es sinnlos war, so sehr war es ihm ein Verlangen, an diesem Ort etwas zu hinterlassen, das seine Tochter erkennen und ihm zuordnen könnte, sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sie hier einmal verweilte. Und ganz plötzlich, aus einer tiefen Verzweiflung heraus, griff er sich sein Messer, welches er stets bei sich trug, auch wenn es ihm im Notfall sicherlich kaum das Leben retten würde. Sein Blick richtete sich einen Moment lang auf die scharfe Klingenspitze, dann setzte er das Messer an und trieb es ein Stück hinein in das Tischholz ... ...


... ... Sie fand, dass sie das Gasthaus ebenfalls langsam verlassen und nach Ristred suchen sollte. Die Sonne schien bereits kräftig durch das Fenster der Schänke, die Händler waren sicherlich längst an ihren Marktständen und warteten nur auf sie. Ein letztes Mal sah sie sich im Schankraum um. Es war, als ahnte Ellj, dass sie diesen Ort kein weiteres mal betreten würde. Und so schenkte sie ihm ein Lächeln zum Abschied und griff, ohne diesem einen Blick zuzuwerfen, nach ihrem Bündel um es an sich zu nehmen. Nur bewegte sich der Rucksack kaum ein Stück von der Stelle, als sie ruckartig daran zog, fast als wollte er weiterhin hier verweilen. Ihre Augenbrauen schoben sich fragend zusammen und so wandte sie sich doch ihrem Gepäck zu um in Erfahrung zu bringen, was es auf dem Tisch hielt. Das Problem schien schnell gelöst, einer der Träger war um die Kante der Tischplatte gerutscht und hielt somit alles fest am Platz. Sie löste ihn und unternahm einen weiteren, erfolgreichen Versuch ihr Bündel an sich zu nehmen.

Schon im aufstehen begriffen, nahm sie jedoch plötzlich etwas wahr, was bis eben unter dem Gepäck im Verborgenen lag. Es dauerte einen Moment, in dem sie den Kopf ein wenig hin und her drehte, ehe sie erkannte, was genau da soeben auf fesselnde Weise ihre Aufmerksamkeit an sich band und es stockte ihr den Atem. Ihre Hände begannen unweigerlich zu zittern, als sich der Zeigefinger ihrer rechten Hand auf die Stelle legte und begann, langsam der Einkerbung folgend, entlang zu gleiten. Ihr fiel sofort auf, dass es sich um keine frische Kerbe handelte, zu sehr was das Holz an dieser Stelle bereits nachgedunkelt, oft wurde bereits wieder darüber gewischt, hatten Speisen und Getränke ihr Werk getan. Aber man konnte es erkennen, jemand hatte mit einem Messer etwas ungelenk und vielleicht auch hastig ein Zeichen in die Tischplatte geschnitzt. Und es kam ihr zu vertraut vor, um es einfach abzutun.

Sie war derart vertieft, während sie vorsichtig mit dem Finger den geschnitzten Pfad entlang fuhr, dass sie den Wirt gar nicht bemerkte, der seine Runde drehend plötzlich neben ihr stehen blieb und sie skeptisch zu mustern begann. Aber seine raue, leicht ungehaltene Stimme drang letztendlich zu ihr durch und ließ sie aufschrecken und sich verwirrt umschauen. „Heda, junge Frau! Ich hoffe doch für euch, dass ihr nicht auch meint, dem Tisch ein weiteres Andenken verpassen zu müssen! Tat dem Letzten schon nicht gut, die Idee!“ … …

Bild
... ... Es war ein Akt der Hilflosigkeit, unbestritten. Und er musste zügig arbeiten, um keine Aufmerksamkeit und womöglich Ärger auf sich zu ziehen, aber mit jedem weiteren Schnitzer fühlte er sich ein wenig befreiter. Er hatte zumindest für den Moment das Gefühl nicht untätig zu sein, nicht aufzugeben. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, als er seinem Werk einen letzten Ritz verpasste und gerade wollte er zufrieden durchatmend Nicken, da baute sich der Wirt groß und breit, mit verschränken Armen und angespanntem Gesichtsausdruck vor ihm auf. Der Blick des Mannes zuckte wütend zwischen ihm und der verunstalteten Tischplatte hin und her. „Was um alles auf der Welt soll das hier werden? “ donnerte es ihm gleich darauf entgegen. „Ich gab euch eine Unterkunft, ertrug tagelang eure üblen Launen und Pöbeleien, aber dies ...“ der Finger des Wirtes richtete sich auf die frische, helle Schnitzerei in dem offenkundig noch recht neuen Holztisch „ … Dies ist zu viel! Weshalb zerstört ihr mir nun meinen Tisch?“ Die Stimme des Wirtes klang so zornig, wie die Erscheinung des gesamten Mannes aussah, als wäre es der willkommene Tropfen, der das Fass endgültig zum überlaufen gebracht hätte. „ Den Schaden zahlt ihr mir! Und zwar sofort, Münze um Münze, zusammen mit dem was ihr mir sonst noch schuldet und dann, verschwindet aus meinem Gasthaus!“ murrte er, mit dem Finger nachdrücklich gen Tür deutend.
Mehr Ärger herauf zu beschwören, schien ihm in diesem Augenblick nicht ratsam. Er sah es in den Gesichtern der Anwesenden, er hatte keine Hilfe zu erwarten und so richtete er sich auf, hob die Hände beschwichtigend ein wenig in die Höhe und begann gleich darauf nach seinem Münzbeutel zu suchen. Dieser sah mittlerweile beängstigend abgemagert aus. Ein leises Fluchen hallte ihm durch den Kopf, denn ein weiteres Problem tat sich damit vor ihm auf.
Er leerte ihn vollends und legte jede einzelne Münze, die der kleine Beutel noch hergeben konnte, vor dem Wirt auf dem Tisch ab.
Der beäugte das kleine Häufchen mit skeptischen Blick, ehe er zugriff, sich eine der Münzen nahm und eine Zeit lang interessiert betrachtete. „Was soll ich denn damit?“ polterte er jedoch schlussendlich erneut los und richtete seinen bereits wieder unwirschen Blick zurück auf den Übeltäter. „Was sind das für Münzen? Mit einem Schwan darauf? Was soll ich damit? Ihr wollt mich wohl veralbern, hm?“ Er warf die Münze unzufrieden zurück auf den kleinen Haufen.
„Andere habe ich nicht... noch nicht... “ er versuchte weiter zu beschwichtigen. „ ... aber das kann ich schnell ändern! Ich bin Heiler, versteht ihr? Und es finden sich immer Menschen, die meine Hilfe brauch...“ weiter kam er nicht, schon wütete ihm der Wirt entgegen „ Was wollt ihr sein? Ein Heiler? Pah!“ er musterte sein Gegenüber abschätzig und schnaubte verächtlich auf „ Das ich nicht lache! Ein Heiler … ein Quacksalber, das seid ihr vielleicht! Ein Zechbrecher … ein Unruhestifter! Ich erkenne solches Pack, hab ich schon zu oft hier gesehen! Aber nicht mit mir!“ Der Blick des Wirtes fiel plötzlich auf die Kette samt Medaillon, welches unter dem Hemd seines Gegenübers hervor blitzte, als der sich beschwichtigend nach vorne beugte, Es erregte sofort sowohl Neugier als auch Interesse des Schankwirtes.
„Woher habt ihr denn das, hm? Ein Dieb seid ihr am Ende wohl auch noch! Sollte aber reichen um eure Schulden zu begleichen!“ er streckte ihm verlangend die Hand entgegen „Also! Gebt mir die Kette und ich denke, wir wären dann quitt!“
Reflexartig legte sich seine Hand auf das Medaillon, während er laut und unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass dies unmöglich war.
Der Wirt sah ihn erst erstaunt, dann zunehmend zornig an, dreht sich nach kurzer Zeit ein wenig in Richtung der anderen Anwesenden und raunte jenen entgegen „Los, ruft mal einer die Wachen!“ Umgehend löste sich ein Gast aus der Menge, rannte gen Tür und es dauerte nur wenige Augenblicke, da kehrte er mit einer Handvoll Wachen auch schon wieder ins Gasthaus zurück.
Wut und Panik stiegen zeitgleich ihn ihm auf. Was sollte er nun tun? Fliehen … sein Blick zuckte, nach einem halbwegs sicheren und schnellen Fluchtweg Richtung Tür, suchend im Raum umher … kämpfen … er sah sich einer Übermacht an vermeintlichen Gegner gegenüber, blieb als dritter Weg nur ...ergeben. Sein Griff um das Medaillon an seinen Hals festigte sich, denn ergeben würde er sich so wenig, wie er aufgeben wollte … …


... ... Ellj traute ihren Ohren nicht. Immer wieder sah sie in Richtung Tisch, auf die Stelle, welche Ausgangspunkt all dessen war, was sie soeben vom Wirt zu hören bekam. Sie schüttelte den Kopf, wieder und wieder. 'Könnte es sein, dass von meinem Vater die Rede ist?' . Es ging ihr unentwegt durch den Kopf, jedoch war es ihr kaum möglich, all dies mit dem Menschen in Einklang zu bringen, den sie als ihren Vater kannte.

„ … Und ob ihr es glaubt oder nicht ...“ irgendwann riss sie die Stimme des Wirtes wieder aus ihren Gedanke, sie blickte ihn an und hörte ihm nun wieder aufmerksam zu „ … der verrückte Kerl fing'ne Keilerei mit der Wache an! Fragt man sich doch, hat der ehrlich geglaubt, damit durch zu kommen? Hat natürlich eine tüchtige Abreibung bekommen, hat ja auch fast darum gebettelt, wollte man meinen!“ Der Wirt lachte höhnisch auf, während es Ellj eiskalt den Rücken herunter lief. „Zu Recht, wenn ihr mich fragt! Also … „ er deutete nochmals auf den Tisch und sah Ellj mit nachdrücklichen Blick an „ … keine dummen Ideen, Mädchen!“ Er wedelte noch ein wenig mit seinem Lappen über den Tisch, als wollte er ihn ganz besonders sauber putzen, dann drehte er sich um und verschwand in Richtung Küche.

Sie stand wie angewurzelt da, sah ins Nichts und versuchte krampfhaft das soeben gehörte zu verarbeiten.
Es müssen so einige Minuten vergangen sein.

Irgendwann begann der, offensichtlich angetrunkene Mann, welcher bis eben still am Thesen saß, belustigt aufzulachen. Er dreht sich in ihre Richtung und lachte erneut, griff sich dann aber mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck an den Kopf ''Argh ... mein Kopf. Nun ja, das nächste Bier wird da sicher helfen! Aber ja, ich erinnere mich an diesen Abend. Endlich war mal was los hier. Also, bin ja nicht oft im Gasthaus! Aber der alte Gauner wollte es wohl wirklich wissen!„ wieder lachte er erheitert auf. „Sah aber nicht so aus, als wäre er jemals vorher in eine solche Schlägerei verwickelt gewesen. Also nicht, das du denkst, ich würde mich da auskennen, hm! Aber hat ebenso tüchtig ausgeteilt, wie eingesteckt, muss man schon sagen! Hat dem einen Wächter gut eins mitgegeben! Rauschschleifen mussten sie ihn am Ende! Und dann, ab in den Kerker!“ Sinnierend blickte er auf, Richtung Decke und ließ den Abend in aller Ruhe nochmal Revue passieren, ehe er wieder zu einer vollkommen sprachlosen Ellj sah „Hab ihn aber sogar nochmal gesehen! Einige Wochen später.“ ... ...

... ...Ein pochender Schmerz an der Schläfe, das war das Erste, was er wieder zu spüren begann. Danach fingen nahezu sämtliche, restliche Teile seines Körper ebenfalls an zu schmerzen. Er rappelte sich, so weit es ihm möglich war, auf und griff sich vorsichtig an den Kopf, zog die Hand aber recht schnell vor Schmerzen wieder zurück. An den Fingern konnte er selbst in dem dämmrigen Licht Blut kleben sehen. Es brauchte noch einige Zeit, ehe er in der Lage war, seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung zu richten.
Er saß fest. Eingesperrt in den Kerkern von Edoras. 'Soweit ist es nun also mit mir gekommen.' er senkte traurig seinen Blick und sah auf den kargen, schmutzigen Kerkerboden.
Schlagartig fiel im die Kette wieder ein. Hastig suchend tastete er seinen Hals ab, aber da war nichts mehr.
Er schloss die Augen wieder und fiel gebrochen in sich zusammen.
Wie lange er an diesem Ort festgehalten wurde, konnte er irgendwann einfach nicht mehr genau bestimmen. War es nicht ohnehin unwichtig geworden? Die Wunde an seiner Schläfe begann sich zu entzünden. Nur mit Mühe, Not und dem Mitleid einer der Wärter, welcher ihm zusteckte, was er benötigte um die Wunde zu heilen, besserte sich sein Zustand nach und nach. Eine deutliche Narbe blieb. Seine Zuversicht jedoch, war verschwunden.
Irgendwann durfte er gehen. Die Sonne blendete ihn regelrecht. Seine Augen hatten sich an das dämmrige Licht gewöhnt. Orientierungslos sah er sich um.
„Na, da schau mal einer an! Du lebst ja noch!“ hörte er plötzlich eine erheiterte Stimme in seine Richtung rufen und lachen, dann wankte auch schon eine sichtbar angetrunkene Gestalt auf ihn zu. Er glaubte, sich vage an das Gesicht aus dem Gasthaus erinnern zu können, mochte aber mittlerweile nicht einmal mehr seinem eigenen Gedächtnis trauen, also sah er den Mann stumm, einzig mit fragenden Blick an und nahm wohl unbewusst eine abwehrende Haltung ein, worauf hin der Mann beschwichtigend die Arme hob. „ Keine Angst mein Freund, hast nichts von mir zu befürchten, bin auf deiner Seite. Der Wirt ist hier noch immer der größte Gauner! Glaub's mir mal, hab genau gesehen, wie er Met und Wein mit Wasser streckt. Hätte dir ja an dem Abend gern geholfen, aber weißt ja, wie das ist, hab selbst noch Schulden bei dem“
Ellj's Vater nickte dem Fremden zu, nahm eine etwas entspanntere Haltung ein und schüttelte letztendlich den Kopf. „Ihr ward an dem Abend im Gasthaus? Könnt ihr mir wohl sagen, was mit meiner Kette geschehen ist? Sie ist das Wertvollste, was ich noch besitze und ich möchte sie zurück!“ für einen kurzen Moment, war es ihm ein Verlangen, an seinen Hals nach der Kette zu greifen, ein wenig hob sich sein Arm, hielt aber abrupt inne und sank wieder kraftlos nach unten.
„Kette? Nun ja, lass mich ein wenig darüber nachdenken.“ Der Fremde musterte ihn einen Augenblick lang, ehe er breit zu grinsen begann „Ahja, da fällt es mir doch wieder ein. Der Wirt hat sie dir abgenommen, nachdem du wehrlos und kaum noch bei Bewusstsein am Boden lagst!“
Ein Ruck ging durch seinen Körper, ohne weitere Zeit vergehen zu lassen wandte er sich dem Gasthaus zu und war auch schon im Begriff, drauf los zu stürmen. Was hatte er schon noch zu verlieren? Noch ehe er den ersten Schritt machen konnte, griff jedoch die Hand des Fremden an seine Schulter, hielt ihn fest und zog ihn zurück.
Wütend dreht er dich in dessen Richtung, bereit für einen weiteren Kampf. „Nana, mach mal ruhig jetzt! Bringt dir ohnehin nichts, wie ein Wilder da hinein zu stürmen. Hat sie längst weiter verkauft. Deine Kette ist nicht mehr hier!“
Und wieder hatte er das Gefühl, mutlos in sich zusammen zu sinken. Die Welt schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Er sah den Fremden mit mattem Blick an, ehe er seine ebenso matt klingende Stimme vernahm. „Wisst ihr vielleicht noch, an wen er sie verkauft hat? Einer der Händler hier vielleicht?“
„Hm, ein fliegender Händler war es, ja! Gleich am Tag nach der Schlägerei! Er bot einen guten Preis und dem Wirt waren die Münzen ohnehin lieber, als das Schmuckstück.“ Während der Fremde ein weiteres mal heiter zu lachen begann, regte sich in Ellj's Vater ein kleiner Funke der Entschlossenheit. Er ballte die Hände fest zusammen und sah in Richtung Stadttor.
„Dann mein Freund, bitte beantwortet mir eine letzte Frage. Wisst ihr, wohin der Händler weiter zog, nachdem er die Kette gekauft hatte?“
Er bekam seine Antwort und in jenem Augenblick hatte der Funke Feuer gefangen.
Es brach ihm das Herz, dies zu akzeptieren, aber seine Tochter zu finden war, zumindest für den Moment, schlicht unmöglich. Wohl aber konnte er dem Medaillon folgen. Er war es seiner Frau und Ellj schuldig. Er wollte die Kette zurück und wenn es das Letzte war, das er tat. Für einen Augenblick schlossen sich seine Augen, unter größter Anstrengung atmete er tief und ruhig ein, so als wollte er sich selbst die Zeit geben, seine soeben getroffene Entscheidung anzunehmen und doch merkte er deutlich, wie sehr es ihm die Kehle zuschnürte. Es gelang ihm nicht, allen Tränen Einhalt zu gebieten, einigen Wenigen gelang es, ihren Weg über seine Wangen hinab zu laufen. Er wischte sie schließlich beiseite, dann richtete er den Blick entschlossen auf den Fremden, dankte ihm und ließ keine weitere Sekunde mehr verstreichen. Er hatte den Weg gefunden, den er gehen musste und es wurde Zeit aufzubrechen.


... ... Ellj schloss die Augen und und klammerte sich nach wie vor an einen einzigen Gedanken fest. 'Konnte das sein? War es mein Vater, um den es hier ging?' Ihr kam plötzlich das Medaillon in den Sinn. Und sie erinnerte sich dunkel an ein Solches. Es hing stets, an einer Kette, um den Hals ihrer Mutter. Sie hatte es als Kind oft bewundert, aber nach ihrem Tod nie wieder zu Gesicht bekommen. Sie versuchte sich fest daran zu erinnern, wie dies Schmuckstück aussah und es war ihr überraschender Weise ein Leichtes, es fast vor ihrem inneren Auge sehen zu können. Als sie den Fremden freundlich fragte, ob er sich noch an das Aussehen des Medaillons erinnern konnte, brachte ihr die Antwort letzte Gewissheit. Es musste ihr Vater sein! Es musste das Medaillon ihrer Mutter sein!

„Soweit ich mich erinnern kann, wollte er gen Schneegrenze, da lebt er wohl.“

Sie sah in Richtung Tür und ahnte sofort, wohin ihr Vater an jenem Tag aufgebrochen war und plötzlich hatte sie die Gewissheit, dass auch sie schnell eine Entscheidung treffen musste, denn jeden Moment konnte Ristred in das Gasthaus zurück kehren.
Sie hatte die Wahl.

Sollte sie einfach verschwinden und Ristred seinen Weg allein weiter ziehen lassen? Aber brachte sie dies übers Herz? War er nicht vorbehaltlos auch ihrem Weg gefolgt? War sie es ihm nicht schuldig?

Oder sollte sie den zweiten Weg wählen und zu ihm gehen, ihm alles erzählen? Wohl ahnend, dass er vermutlich wenig erpicht sein würde, erneut einem vagen Phantom zu folgen.

Vielleicht war es am Besten, einem dritten Weg zu folgen? Sollte sie vorerst weiter mit ihm gehen, jedoch ohne ein Wort darüber zu verlieren, was sie soeben erfahren hatte? Der Weg wäre doch für den Anfang der Gleiche. Alles Weitere würde sich dann später ergeben.

Und so traf sie eine Entscheidung, denn es wurde Zeit aufzubrechen.

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