Druswyns Geschichte
Verfasst: Sa 21. Mär 2009, 20:16
Die Flucht
Auf allen Vieren rannte ich voran. Mein Atem ging schnell und mir hing bereits die Zunge heraus. Bald war ich da, ich konnte die Halblinge bereits riechen. Ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Ich wusste, es war nicht mein eigenes.
Geschickt sprang ich hinter einem Busch in Deckung, als ich Stimmen näher kommen hörte. Meinen schweren Atem unterdrückend stellte ich die Ohren auf und lauschte. Mein Blick viel auf die krallenbesetzten Pfoten, auf denen ich stand. Jene pelzigen Treter, die mich bereits durch viele Hobbit-Dörfer getragen hatten. Immer auf der Suche nach einem neuen Blutbad.
Angespannt wartete ich, die Halblinge konnten nicht mehr fern sein. Ich vernahm eine Kinderstimme. Scheinbar handelte es sich um einen Familienausflug. Es roch nach Speis und Trank, die kleine Familie war auf dem Weg zu einem Picknick.
Die Eltern gingen voran, als das Hobbitkind innehielt und zu dem Busch blickte, hinter dem ich mich verbarg. Hatte ich mich verraten? Es stapfte neugierig näher an den Busch heran. Ich machte mich sprungbereit und konnte mir ein Zähnefletschen nicht verkneifen. Mein Herz raste und ich spürte wieder jenen Blutdurst, den ich schon so oft verspürt hatte. Unschuldiges Kinderblut reizte mich ganz besonders.
Das Kind hockte sich vor den Busch und hob etwas vom Boden auf. Es war ein glitzernder, kleiner Gegenstand. Vorsichtig wischte es den Dreck davon ab, um es genauer betrachten zu können. In diesem Moment sprang ich. Mit einem erschrockenen Schrei alarmierte das Kind seine Eltern, doch es war bereits zu spät. Meine scharfen Zähne hatten sich bereits in seinem Arm festgebissen. Mit einem kräftigen herumwirbeln meines Kopfes riss ich das kleine Wesen entzwei.
Lediglich mit einem Wanderstab bewaffnet rannten die beiden übrig gebliebenen Hobbits auf mich zu. Arme Narren, sie würden als nächstes ihre Ahnen treffen… so dachte ich jedenfalls.
Mein Kopf fühlte sich an, als würde er explodieren. Jemand hatte mich von hinten überrascht. Es drehte sich alles, als der Boden näher kam. Ich spürte kaum noch den harten Aufprall, dann bereits legte sich Dunkelheit über meine Augen.
Druswyn schrak auf. Schweißgebadet blickte sie sich hastig um. Ihr Kopf dröhnte vor Schmerz, sodass sie sich wieder zurücksinken ließ. Ihr Atem ging noch immer schnell, als sie eine dumpfe Stimme in ihrer Nähe vernahm. Es stank fürchterlich, doch sie konnte nicht genau sagen, nach was.
Wenn sie sich so umblickte, wollte sie auch gar nicht wissen woher der beißende Geruch kam. Es war Nacht und sie lag in einer Zelle. Das Moos war über den Boden gewachsen, denn ohne ein schützendes Dach über dem Kopf regnete es oft auf diese Steinplatten. Eine Fackel war an eine Steinwand nahe dem Zelleneingang befestigt. Sie flackerte etwas durch das Lüftchen, welches hier ab und an wehte.
Druswyn strich sich mit ihrer, vom Matsch überzogenen Hand das rötliche Haar aus dem Gesicht. Es klebte durch den Schweiß an ihrer Haut. Ein kurzer Blick in eine der Wasserpfützen am Boden verriet ihr in der Dunkelheit nicht viel. Aber sie vermutete, dass sie wie ein Schwein aussehen musste.
Jetzt viel ihr erst auf, dass sie sich frei bewegen konnte. Die Hand- und Fußfesseln wurden offensichtlich durchtrennt. Vorsichtig blickte sie sich erneut um, ihr Kopf dröhnte noch immer. Doch sie konnte im ersten Moment niemanden erkennen, der sie vielleicht befreit haben könnte. Lediglich eine erneute, dumpfe Stimme drang an ihr Ohr.
Da bemerkte sie, dass sie auf etwas lag. Es war ein dreckiger Leinensack, welchen sie unbewusst als Kissen genutzt hatte. Jedoch war er viel zu groß, um darin nur Vorräte zu lagern. Zudem blickten ein paar matschige Stiefel am unteren Ende heraus. Vorsichtig stieß sie noch einmal gegen das Bündel.
Beantwortet wurde dies mit einem dumpfen stöhnen. Für Druswyn hörte sich dies nach Schmerzenslauten an. Sie tastete ihre Kleidung ab. Vielleicht hatten ihre Entführer ja eine Waffe übersehen. Aber dies war unwahrscheinlich. Immerhin hatten sie ihre komplette Rüstung entfernt. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch etwas am Leibe trug.
Die junge Menschenfrau seufzte und versuchte nun also den Strick, welcher den Sack an den Beinen der darin gefangenen Person festhielt, mit bloßen Händen aufzuknoten. Ihre verdreckten Hände waren durch den Matsch ziemlich glitschig und auch der Strick war halb durchgeweicht und nur schwer zu packen.
Leise fluchte sie vor sich hin, als das eine Ende des Strickes abriss und sie so erst recht nicht den Knoten aufbekam. Wäre sie dem Schurkenhandwerk nachgegangen, hätte sie sicherlich schon längst eine Lösung gefunden. Aber ohne ein Messer zum aufschneiden kam sie hier nicht weiter.
So rieb sie sich erneut den schmerzenden Kopf und hoffte, dass ihr eine andere Lösung einfallen würde. Nachdenklich betrachtete sie die Gitterstäbe ihres kleinen Gefängnisses. Wie war sie hier nur hergekommen? Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern. Aber lediglich die Erinnerungen an diesen Warg und das tote Hobbitkind kehrten zurück in ihr Bewusstsein. Angewidert versuchte sie diesen Gedanken abzuschütteln.
Sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was dieser seltsame Traum zu bedeuten hatte. Sie hörte schlurfende Schritte und legte sich schnell wieder auf den alten Schlafplatz. Etwas zu schnell, denn neben dem aufstöhnen der immer noch gefesselten Person meldete sich auch erneut Druswyns Kopfschmerz.
Als die Wache gerade zu der Zelle kam, hatte Druswyn schnell noch ihre Hände hinter den Rücken gelegt und hoffte, dass ihr zerschlissener Umhang reichte, um ihre Beine zu verdecken.
„Dru, bist du wach?“, fragte der Wachmann mit heiserer Stimme. Druswyn runzelte die Stirn und blickte den Mann in der viel zu laut klappernden Rüstung matt an. Kannte sie ihn?
Ein boshaftes Grinsen machte sich auf den Lippen des Mannes breit. „Ich hoffe du hast gut geschlafen, Prinzessin…“ Druswyn versuchte sich weiterhin daran zu erinnern, ob sie diese Person schon einmal gesehen hatte. Der Schlag auf ihren kopf war wohl doch etwas stärker als sie zuerst angenommen hatte.
Der Wachmann blickte sich prüfend um, bevor er ein Schlüsselbund herausholte. Er war auch hierbei viel zu laut und es dauerte eine Weile, bis er den passenden Schlüssel zu der Zelle gefunden hatte.
Druswyn ahnte schlimmes. Es war mitten in der Nacht, die anderen Wachen hatten vermutlich feste Plätze, an denen sie aufpassen sollten. Wären ihre Fesseln nicht aus unerklärlichen Gründen verschwunden, hätte dieser stinkende Kerl vermutlich eine wehrlose Frau vor sich. Druswyn entschied sich, erst einmal die angeschlagene zu spielen und beobachtete den Wachmann weiterhin aus nur halb geöffneten Augen.
Quietschend öffnete sich die Zellentür, als der Wachmann herein trat. Vorsichtshalber schloss er diese wieder hinter sich und schloss ab. Die Zelle hatte genügend dunkle Ecken, in die man von außen nicht blicken konnte. Immer noch grinsend schlurfte er zu Druswyn. Als er dann vor ihr stand blickte er hämisch auf sie herab.
„Ich hätte nie gedacht, dass du einmal vor mir im Dreck kriechen würdest, Dru.“, während er dies sagte, öffnete er den Waffengürtel und legte diesen neben sich ab. Bald darauf folgte der Gürtel seiner schäbigen Lederhose, welche mit ein paar Ketten und Platten verstärkt war.
Angewidert blickte Druswyn zu dem Kerl auf. Sie wusste zwar noch immer nicht, wer er war, aber es war offensichtlich, dass er sie kannte. Mit heruntergelassenen Hosen packte er Druswyn nun am Kragen. Er hatte offensichtlich vor sie in eine der dunkleren Ecken zu ziehen. Dabei war Druswyn sich sicher, dass seine Kameraden sich dieses Schauspiel mit Freuden angeschaut hätten.
Druswyn nutzte die Gelegenheit und rammte nun ihr Knie in das Gemächt des Wachmannes. Dieser war sich seiner Sache so sicher gewesen, dass er wimmernd auf die Seite viel. Er hatte keinerlei Chance gehabt diesen Angriff abzuwehren. So schnell ihre Kopfschmerzen es zuließen griff sie nach dem Waffengürtel und zog daraus das Schwert.
Der Wachmann lag noch immer zusammengekrümmt am Boden, mit einem hastigen Blick nach draußen, konnte Druswyn vermuten, dass niemand das Scheppern seiner Rüstung beim Aufprall gehört hatte. So griff sie nach dem Leinensack und schlitzte ihn mehr schlecht als recht mit dem Schwert auf. Grummelnd stellte sie dabei fest wie stumpf diese Klinge war.
In dem Sack befand sich ein Mann, welcher offensichtlich zusammengeschlagen wurde, bevor man ihn verschnürt und in diesen Sack gestopft hatte. Aber er schien wenigstens bei Bewusstsein zu sein. Wohl aus Mitleid befreite sie ihn von den restlichen Fesseln und nahm ihm den Knebel ab. Jede Bewegung bereitete ihm Schmerzen, dass sah Druswyn ihm deutlich an.
Doch hatte sie sich zu sehr mit dem Gefangenen beschäftigt, ein kräftiger Hieb in ihren Nacken ließ sie vornüber direkt auf den gerade befreiten sacken. Dieser konnte sich einen erneuten Schmerzenslaut kaum verkneifen. Auch Druswyn hatte vor Schreck glatt das Schwert fallen gelassen. Ein schmerzhafter Tritt in ihren Rücken ließ sie aufkeuchen.
„Das hast du dir wohl so gedacht!“, tönte der Wachmann wütend hinter ihr. Druswyn wandte sich herum, sodass sie nun auf dem Rücken lag und trat nach dem rechten Arm des Wachmannes. Das Messer, welches er in der Hand gehalten hatte, flog gefährlich nahe an ihrem Gesicht vorbei und blieb neben dem Gefangenen im Boden stecken.
Doch der Wachmann packte ihren Fuß und riss ihn herum, sodass man ein knacken hören konnte. Druswyn riss die Augen auf und Schrie, als sie spürte wie ihre Knochen zerbarsten. Tränen des Schmerzes schossen in ihre Augen, was ihren Blick stark einschränkte. Blind tastete sie nach dem Schwert, doch die Wache riss sie an ihrem Bein zurück, was ihr weitere Schmerzen bescherte.
Nur der Gefangene, welcher noch immer am Boden lag, vernahm das surren in der Luft, als der Pfeil sich seinen Weg geradewegs in den Hals des Wachmannes suchte. Sein über Jahre geschultes Gehör konnte dies vernehmen. Obwohl ihn alles schmerzte, griff er nun selbst nach dem Messer neben ihm und zog es aus dem Boden.
Die Wache gurgelte und spuckte Blut, als der Pfeil in seiner Lebensader versank. Nur wenig später tauchte ein weiterer Mensch in der Zelle auf. Er hatte eine Kapuze ins Gesicht gezogen und betrachtete die beiden noch Lebenden.
„Ich bin Amdir. Helft mir, zwei Hobbits aus den Fängen der Schwarzwolds zu befreien… ich helfe euch, hier herauszukommen.“
Druswyn hievte sich mühsam wieder auf und presst die Lippen aufeinander, als sie den gebrochenen Fuß aufsetzen wollte. Amdir hielt ihr einen Wasserschlauch entgegen, welcher mit einer wohlriechenden Flüssigkeit gefüllt war.
„Trinkt dies, es wird eure Schmerzen lindern. Das muss reichen bis wir hier raus sind.“
Druswyn nickte und nahm ein paar Schlucke des Kräutersaftes. Auch der Gefangene erhielt etwas davon. Die meisten seiner Wunden waren zwar nur oberflächlich, aber es reichte dennoch um genügend Schmerzen bei jeder Bewegung zu verursachen. Mehr schlecht als recht waren die drei nun Kampfbereit und machten sich auf die zwei Hobbits aus den Fängen der Schwarzwolds zu befreien.
Der Wald
„Du wirst niemals wie dein Vater werden, Dru!“
Die junge Frau blickte finster drein. Ihr Pferd ging gemächlichen Schrittes über die Wiese. Neben ihr ritt ein weiterer Hauptmann. Zusammen hatten sie ihre Ausbildung absolviert.
„Warum gehst du noch immer davon aus, dass ich so werden will, Richard?“, entgegnete Druswyn, ohne ihn dabei anzublicken. Ihre Aufmerksamkeit lag ganz bei dem Pfad vor ihnen.
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, als die beiden Hauptmänner mit ihren Pferden über die Wiesen von Thal spazierten. Sie waren, wie so oft, auf dem Weg zum Fluss. Dort konnte man in aller Seelenruhe etwas trainieren, ohne das man allzu viele Schaulustige dabei hatte. Druswyn und Richard pflegten ihre Kampftaktiken nicht jedermann offen zu legen.
Das Fell von Druswyns Pferd war mit Kakaobraunen Flecken übersäht. Es war nicht so ein reinrassiges Pferd wie der weiße Schimmel Richards, aber es reichte ihr. Ihre Mutter hatte all das Ersparte geopfert, damit ihre Tochter diese Ausbildung genießen konnte.
„Warum wohl zieht eine so hübsche Frau wie du in die Schlacht? Ich weiß, dass er dein Vorbild ist!“, grinsend griff er in die Zügel von Druswyns Pferd und sorgte dafür, dass es stehen blieb. „He, schau mich an, wenn ich mit dir rede!“
Druswyn blickte mürrisch in Richards Gesicht. Er war einer jener blonden Frauenhelden, welche mit lockigem Haar und einem schelmischen Grinsen die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Auch hatte er es zu einem erfolgreichen und ansehnlichen Hauptmann geschafft. Es gab kaum jemanden in Thal, der ihn nicht kannte.
Neben ihm wirkte Druswyn immer nur wie ein verblasster Stern. Es war nicht einfach, sich als Frau durchzusetzen. Noch dazu war ihr Vater vor langer Zeit verstorben. Gerüchte weisen darauf hin, dass er Opfer einer Räuberbande geworden wäre. Ein nicht gerade ehrenhafter Tod.
„Du weißt, warum ich das tue…“, Druswyn schüttelte den Kopf und seufzte. Ja, es war das Bedürfnis nach Rache. Eines Tages würde sie diese Banditen ausfindig machen und zur Strecke bringen. Aber auch die Sorge um ihre kranke Mutter hatte sie oft genug angespornt. Als Hauptmann konnte man durchaus Ansehen und Geld gewinnen. Vielleicht konnte sie ein Heilmittel für ihre Mutter finden. Wenigstens ein Heilkundiger… niemand wusste wirklich, an was ihre Mutter erkrankt war.
Richard machte eine wegwerfende Handbewegung. „Immer noch auf der Suche nach Vergeltung? Das ist jetzt fast zehn Jahre her, Dru…“, richtig Druswyn war damals noch ein Kind.
„Was verstehst du schon davon?“, genervt wollte sie ihm die Zügel wieder aus der Hand reißen. Richard kam ihr jedoch zuvor und packte ihre Hände. Etwas verdutzt blickte sie ihm nun doch direkt in die grünen Augen.
Er lächelte sie an: „Ich verstehe davon eine Menge…“, säuselte er und zog sie näher an sich heran. Druswyns Herz klopfte so stark, dass sie es spürte. Eine Mischung aus Angst und Scham regte sich in ihr. Es kam, wie sie vermutete… Wenige Augenblicke später spürte sie seine Lippen auf den ihren. Zwei Herzschläge zögerte sie noch, dann ließ sie es einfach geschehen und schloss ihre blauen Augen…
Ein Lachen ließ Druswyn wieder erwachen. Es dauerte eine Weile, bis sie realisierte, dass sie sich in einem Wald befand. Erschrocken stellte sie fest, dass sich ihre Hände in denen eines Mannes befanden. Aber es war nicht Richard.
„Mich würde jetzt ja interessieren, was du geträumt hast…“, hörte sie den Mann, welcher mit seinem Gesicht ziemlich nah an dem ihren war. Druswyn stieß ihn von sich und setzte sich auf. Da war er wieder, der Schmerz in ihrem Kopf. Auch ihren gebrochenen Fuß spürte sie wieder. Ein Blick darauf brachte auch die Erinnerungen an die letzte Nacht zurück.
Sie hatten sich durch das Lager der Schwarzwolds geschlagen und diese beiden Hobbits befreit. Druswyn blickte sich um, als sie ihren Kopf hielt. Die Hobbits hatten in dem Wald scheinbar etwas Essbares gefunden, denn sie kochten gerade irgendeine Kräutersuppe über einem kleinen Feuer.
Andromos, so hatte er sich vorgestellt, erhob sich nun auch und ging zu dem in Decken gewickelten Amdir. Richtig, Druswyn erinnerte sich wieder. Amdir hatte gestern Nacht eine Auseinandersetzung mit einem Nazgûl, welche ihn fast sein Leben gekostet hätte.
Druswyn wunderte sich etwas, dass Andromos schon wieder so gut auf den Beinen war. Aber er war vermutlich genauso ein guter Schauspieler, was die Schmerzen betraf wie sie selbst. Während die beiden Halblinge keinerlei Verletzungen davongetragen hatten, waren die drei Menschen mehr mit Glück als Verstand davongekommen.
Ein Geräusch im Wald gewann Andromos’ Aufmerksamkeit. Er blieb zwar bei Amdir sitzen, lauschte aber und suchte die Gegend mit seinen Augen ab. Der Wald war nicht gerade die beste Umgebung für einen Schurken wie ihn. Stadtgeräusche konnte er eher einordnen.
Druswyn nahm gerade wieder ein paar Schlucke des Schmerzlindernden Gebräus aus Amdirs Wasserschlauch, als etwas durch das Gestrüpp brach. Sichtlich überrascht viel Andromos hintenüber, als der hässliche Ork ihn ansprang. Geistesgegenwärtig griff Druswyn zu dem Zweihänder, welchen sie letzte Nacht im Lager der Schwarzwolds ergattern konnte.
Die Hobbits reagierten unterschiedlich. Während der Mürrische Beutlin-Abkömmling sich hinter Amdir in Deckung brachte, griff die tapfere Hobbit-Dame nach einem Holzscheit ihres Lagerfeuers, um sich dem nächsten Ork kampfbereit entgegen zu stellen.
Druswyn zählte ein halbes Dutzend Orks, welche das kleine Lager umzingelt hatten. Bereits als sie sich erhob, konnte sie einen mit ihrer Waffe von den Füßen heben. Es war also nur noch eine Handvoll, als sie den Hobbits zur Hilfe kam.
Andromos’ Stärke war der Hinterhalt, nicht eine direkte Konfrontation mit dem Feind. Der Ork bohrte trotz dem Versuch des Menschen, auszuweichen, seinen rostigen Säbel in dessen Schulter. Mit einem wütenden Schrei stieß Andromos den Ork mit seinen Füßen von sich. Der Säbel blieb in seiner Schulter stecken.
Mehr schlecht als recht drehte der Mensch sich herum und versuchte dem Ork davon zu kriechen.
Druswyn hingegen war im Kampfesrausch. Jeder tote Ork bestärkte sie nur noch mehr in ihrer Handlung. Sie brüllte den Grünlingen ihren ganzen Kampfeswillen entgegen und tötete diese dann mit ein paar gezielten Schlägen. Mit einem Furcht einflößendem Kampfschrei sorgte sie dann letztendlich dafür, dass der nun unbewaffnete Ork für eine Sekunde von Andromos abließ. Mit erhobenem Zweihänder und ein paar großen Sätzen sprang sie auf diesen zu.
Der Ork schien tatsächlich über eine Flucht nachzudenken, seine Kameraden waren tot. Einer von den Orks brannte lichterloh auf dem Lagerfeuer der kleinen Gemeinschaft, überall war das dunkle Orkblut zu sehen. War es Dummheit oder gab es doch noch Orks, die etwas mehr Mumm in den Knochen hatten?
Der Ork grinste Druswyn mit seinem Gebiss aus scharfen und schiefen Zähnen an, als er zwischen seiner schäbigen Rüstung ein scharfkantiges, gezacktes Messer hervorholte. Er hob schnell den Arm, um mit dem Messer auf Andromos zu werfen. Druswyn sah dies und wusste sie würde nicht rechtzeitig dafür sorgen können, dass dieses Messer die Hand des Orks verließ.
So sprang die Hauptmännin in die Wurfbahn des Messers und tat es dem Ork gleich. Sie warf ihren Zweihänder nach der hässlichen Kreatur, während sie Andromos mit nichts als sich selbst schützte.
Mit einem erschrockenen Schrei sah sie das Messer noch auf ihr Gesicht zufliegen, bis die Wucht des Messers und der Schmerz sie zu Boden warfen. Andromos rollte sich zur Seite, um nicht von der fallenden Menschenfrau erschlagen zu werden. Er konnte sehen, wie der Ork fast zweiteilig zu Boden ging. Die lange Klinge von Druswyns Zweihänder hatte sich komplett durch ihn gebohrt.
Mit Hilfe der Hobbitfrau konnte Andromos sich dann auch von dem Säbel des Orks befreien. Erst dann gelang es ihm, sich aufzusetzen und zu Druswyn zu krabbeln. Er fühlte sich fast schlecht, als er das Gesicht von ihr betrachtete. Aber das verbarg er hinter seiner Maske aus Gleichgültigkeit, welche ihm als Schurke schon oft geholfen hatte.
Das Messer hatte knapp das Auge Druswyns verfehlt, ihre Wange war komplett aufgerissen und Andromos glaubte sogar schon etwas von ihrem Wangenknochen sehen zu können. Natürlich blutete die Wunde stark und die junge Frau war nicht bei Bewusstsein.
Es würde einen weiteren Tag brauchen, bis die kleine Gruppe wieder reisebereit war. Bisher hatte Druswyn den Waldläufer Amdir getragen. Beide wären unmöglich zu transportieren. Also musste Andromos wieder auf die Kräuterkenntnis der Halblinge setzen. Sie würden sich auch um seine Schulter kümmern. Zuerst aber musste dieses Feuer aus. Es verriet sie nur und wer wusste schon was sie noch anlocken würden…
Verrat
„Warum?“, mehr brachte Druswyn kaum heraus. Ihre Stimme war heiser und sie spürte den Schwerthieb in ihrer Seite noch immer deutlich. Blut sickerte zwischen ihren Fingern hindurch. Ihre Hand war auf die Seite gepresst.
Es brannte. Der Geruch von Menschenfleisch raubte ihr fast den Atem. Das flackern der Flammen zeichnete sich auf den Gesichtern ab. Sie sank auf die Knie, hob den Kopf aber erneut an, um in Richards eiskaltes Gesicht blicken zu können. Zorn und Verzweiflung durchfluteten sie. War sie wirklich so eine Närrin gewesen?
Der Hauptmann hielt das Schwert, dessen Klinge mit Druswyns Blut beschmiert war, lässig in der Hand. In der anderen hielt er eine Fackel, mit der er unzählige Hütten angezündet hatte. Das ganze Dorf brannte lichterloh. Druswyn begann zu husten, noch immer auf eine Antwort wartend.
„Du hast es noch immer nicht verstanden, was?“, jetzt lachte Richard. Hinter ihm konnte Druswyn Schemen erkennen. Es waren die Krieger, welche unter Richards Kommando standen. Sie plünderten die Häuser und ermordeten die anderen Überlebenden.
„Schon dein Vater war ein Narr… du bist seinen Fußstapfen gut gefolgt. Druswyn. Aber niemand stellt sich mir in den Weg. Auch nicht du.“, er ging näher an sie heran, legte die Klinge seines Schwertes an ihren Hals.
Warum nur war sie so dumm gewesen ihm zu glauben? Druswyn war sich nun sicher. Richard hatte ihren Vater getötet. Richard verdiente sein Geld als schmutziger Söldner. Er führte eine eigene Räuberbande, um die Menschen von Thal in Angst und Schrecken zu versetzen.
„Ich gebe dir noch eine Chance, Dru. Komm mit mir…“, konnte sie da etwa Wehmut in seiner stimme hören? Nein, dieses Mal würde sie nicht wieder auf ihn hereinfallen. Ihre ganze Beziehung war eine Lüge. Er hatte sie schamlos ausgenutzt. Das würde ihr nie wieder passieren… kein Mann würde sie je wieder so an der Nase herumführen.
„Töte mich.“, antwortete sie heiser. Der Rauch des Feuers hatte ihre Kehle trocken gemacht. Sie ließ ihren Kopf wieder hängen, es war anstrengend Richard die ganze Zeit anzusehen. Dieser zog das Schwert zurück, wohl um auszuholen, ihr den Kopf abzuschlagen. Irgendetwas. Druswyn schloss die Augen und bereitete sich auf ihr Ende vor.
Doch da kam nichts. Nach vielen endlosen Augenblicken öffnete Druswyn wieder die Augen und blickte sich um. Richard war verschwunden. Es war in der Ferne ein Horn zu vernehmen. Druswyn versuchte aufzustehen, aber die Wunde war tief. Würde sie nicht daran verbluten, würde sie an dem Rauch des Feuers ersticken oder selbst verbrennen.
Mit ihrer letzten Kraft versuchte sie nun also aus dem brennenden Dorf zu gelangen… bis eine wohlige Schwärze sie umschloss…
Druswyn spürte eine Hand auf ihrer Wange. Noch bevor sie die Augen öffnete, schlug sie mit geöffneter Hand nach der Person, welche offensichtlich über ihr war. Mit einem ziemlich gereizten Blick betrachtete sie dann Andromos, welcher sich die Wange hielt, die gerade eine knallrote Farbe annahm.
Druswyn tastete nach ihrer rechten Gesichtshälfte, die mit einem Verband umwickelt war. Es schmerzte bei Berührung. Strafend schaute sie den Schurken an. Was auch immer er schon wieder mit ihr getrieben hatte, während sie schlief… er sollte sich in Acht nehmen. Dies zeigte sie ihm auch unmissverständlich mit ihrem Blick, als sie sich erhob.
Seitdem Richard sie verraten hatte, begegnete sie jedem männlichen Wesen mit Wut und einer gehörigen Portion Vorsicht. Das Andromos offensichtlich ihre unruhigen Träume bemerkte, gefiel ihr daher umso weniger. Dieser äußerte sich bisher aber auch nicht dazu.
Ob sie wohl ein verschlossenes Buch für ihn blieb?
Auf allen Vieren rannte ich voran. Mein Atem ging schnell und mir hing bereits die Zunge heraus. Bald war ich da, ich konnte die Halblinge bereits riechen. Ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Ich wusste, es war nicht mein eigenes.
Geschickt sprang ich hinter einem Busch in Deckung, als ich Stimmen näher kommen hörte. Meinen schweren Atem unterdrückend stellte ich die Ohren auf und lauschte. Mein Blick viel auf die krallenbesetzten Pfoten, auf denen ich stand. Jene pelzigen Treter, die mich bereits durch viele Hobbit-Dörfer getragen hatten. Immer auf der Suche nach einem neuen Blutbad.
Angespannt wartete ich, die Halblinge konnten nicht mehr fern sein. Ich vernahm eine Kinderstimme. Scheinbar handelte es sich um einen Familienausflug. Es roch nach Speis und Trank, die kleine Familie war auf dem Weg zu einem Picknick.
Die Eltern gingen voran, als das Hobbitkind innehielt und zu dem Busch blickte, hinter dem ich mich verbarg. Hatte ich mich verraten? Es stapfte neugierig näher an den Busch heran. Ich machte mich sprungbereit und konnte mir ein Zähnefletschen nicht verkneifen. Mein Herz raste und ich spürte wieder jenen Blutdurst, den ich schon so oft verspürt hatte. Unschuldiges Kinderblut reizte mich ganz besonders.
Das Kind hockte sich vor den Busch und hob etwas vom Boden auf. Es war ein glitzernder, kleiner Gegenstand. Vorsichtig wischte es den Dreck davon ab, um es genauer betrachten zu können. In diesem Moment sprang ich. Mit einem erschrockenen Schrei alarmierte das Kind seine Eltern, doch es war bereits zu spät. Meine scharfen Zähne hatten sich bereits in seinem Arm festgebissen. Mit einem kräftigen herumwirbeln meines Kopfes riss ich das kleine Wesen entzwei.
Lediglich mit einem Wanderstab bewaffnet rannten die beiden übrig gebliebenen Hobbits auf mich zu. Arme Narren, sie würden als nächstes ihre Ahnen treffen… so dachte ich jedenfalls.
Mein Kopf fühlte sich an, als würde er explodieren. Jemand hatte mich von hinten überrascht. Es drehte sich alles, als der Boden näher kam. Ich spürte kaum noch den harten Aufprall, dann bereits legte sich Dunkelheit über meine Augen.
Druswyn schrak auf. Schweißgebadet blickte sie sich hastig um. Ihr Kopf dröhnte vor Schmerz, sodass sie sich wieder zurücksinken ließ. Ihr Atem ging noch immer schnell, als sie eine dumpfe Stimme in ihrer Nähe vernahm. Es stank fürchterlich, doch sie konnte nicht genau sagen, nach was.
Wenn sie sich so umblickte, wollte sie auch gar nicht wissen woher der beißende Geruch kam. Es war Nacht und sie lag in einer Zelle. Das Moos war über den Boden gewachsen, denn ohne ein schützendes Dach über dem Kopf regnete es oft auf diese Steinplatten. Eine Fackel war an eine Steinwand nahe dem Zelleneingang befestigt. Sie flackerte etwas durch das Lüftchen, welches hier ab und an wehte.
Druswyn strich sich mit ihrer, vom Matsch überzogenen Hand das rötliche Haar aus dem Gesicht. Es klebte durch den Schweiß an ihrer Haut. Ein kurzer Blick in eine der Wasserpfützen am Boden verriet ihr in der Dunkelheit nicht viel. Aber sie vermutete, dass sie wie ein Schwein aussehen musste.
Jetzt viel ihr erst auf, dass sie sich frei bewegen konnte. Die Hand- und Fußfesseln wurden offensichtlich durchtrennt. Vorsichtig blickte sie sich erneut um, ihr Kopf dröhnte noch immer. Doch sie konnte im ersten Moment niemanden erkennen, der sie vielleicht befreit haben könnte. Lediglich eine erneute, dumpfe Stimme drang an ihr Ohr.
Da bemerkte sie, dass sie auf etwas lag. Es war ein dreckiger Leinensack, welchen sie unbewusst als Kissen genutzt hatte. Jedoch war er viel zu groß, um darin nur Vorräte zu lagern. Zudem blickten ein paar matschige Stiefel am unteren Ende heraus. Vorsichtig stieß sie noch einmal gegen das Bündel.
Beantwortet wurde dies mit einem dumpfen stöhnen. Für Druswyn hörte sich dies nach Schmerzenslauten an. Sie tastete ihre Kleidung ab. Vielleicht hatten ihre Entführer ja eine Waffe übersehen. Aber dies war unwahrscheinlich. Immerhin hatten sie ihre komplette Rüstung entfernt. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch etwas am Leibe trug.
Die junge Menschenfrau seufzte und versuchte nun also den Strick, welcher den Sack an den Beinen der darin gefangenen Person festhielt, mit bloßen Händen aufzuknoten. Ihre verdreckten Hände waren durch den Matsch ziemlich glitschig und auch der Strick war halb durchgeweicht und nur schwer zu packen.
Leise fluchte sie vor sich hin, als das eine Ende des Strickes abriss und sie so erst recht nicht den Knoten aufbekam. Wäre sie dem Schurkenhandwerk nachgegangen, hätte sie sicherlich schon längst eine Lösung gefunden. Aber ohne ein Messer zum aufschneiden kam sie hier nicht weiter.
So rieb sie sich erneut den schmerzenden Kopf und hoffte, dass ihr eine andere Lösung einfallen würde. Nachdenklich betrachtete sie die Gitterstäbe ihres kleinen Gefängnisses. Wie war sie hier nur hergekommen? Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern. Aber lediglich die Erinnerungen an diesen Warg und das tote Hobbitkind kehrten zurück in ihr Bewusstsein. Angewidert versuchte sie diesen Gedanken abzuschütteln.
Sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was dieser seltsame Traum zu bedeuten hatte. Sie hörte schlurfende Schritte und legte sich schnell wieder auf den alten Schlafplatz. Etwas zu schnell, denn neben dem aufstöhnen der immer noch gefesselten Person meldete sich auch erneut Druswyns Kopfschmerz.
Als die Wache gerade zu der Zelle kam, hatte Druswyn schnell noch ihre Hände hinter den Rücken gelegt und hoffte, dass ihr zerschlissener Umhang reichte, um ihre Beine zu verdecken.
„Dru, bist du wach?“, fragte der Wachmann mit heiserer Stimme. Druswyn runzelte die Stirn und blickte den Mann in der viel zu laut klappernden Rüstung matt an. Kannte sie ihn?
Ein boshaftes Grinsen machte sich auf den Lippen des Mannes breit. „Ich hoffe du hast gut geschlafen, Prinzessin…“ Druswyn versuchte sich weiterhin daran zu erinnern, ob sie diese Person schon einmal gesehen hatte. Der Schlag auf ihren kopf war wohl doch etwas stärker als sie zuerst angenommen hatte.
Der Wachmann blickte sich prüfend um, bevor er ein Schlüsselbund herausholte. Er war auch hierbei viel zu laut und es dauerte eine Weile, bis er den passenden Schlüssel zu der Zelle gefunden hatte.
Druswyn ahnte schlimmes. Es war mitten in der Nacht, die anderen Wachen hatten vermutlich feste Plätze, an denen sie aufpassen sollten. Wären ihre Fesseln nicht aus unerklärlichen Gründen verschwunden, hätte dieser stinkende Kerl vermutlich eine wehrlose Frau vor sich. Druswyn entschied sich, erst einmal die angeschlagene zu spielen und beobachtete den Wachmann weiterhin aus nur halb geöffneten Augen.
Quietschend öffnete sich die Zellentür, als der Wachmann herein trat. Vorsichtshalber schloss er diese wieder hinter sich und schloss ab. Die Zelle hatte genügend dunkle Ecken, in die man von außen nicht blicken konnte. Immer noch grinsend schlurfte er zu Druswyn. Als er dann vor ihr stand blickte er hämisch auf sie herab.
„Ich hätte nie gedacht, dass du einmal vor mir im Dreck kriechen würdest, Dru.“, während er dies sagte, öffnete er den Waffengürtel und legte diesen neben sich ab. Bald darauf folgte der Gürtel seiner schäbigen Lederhose, welche mit ein paar Ketten und Platten verstärkt war.
Angewidert blickte Druswyn zu dem Kerl auf. Sie wusste zwar noch immer nicht, wer er war, aber es war offensichtlich, dass er sie kannte. Mit heruntergelassenen Hosen packte er Druswyn nun am Kragen. Er hatte offensichtlich vor sie in eine der dunkleren Ecken zu ziehen. Dabei war Druswyn sich sicher, dass seine Kameraden sich dieses Schauspiel mit Freuden angeschaut hätten.
Druswyn nutzte die Gelegenheit und rammte nun ihr Knie in das Gemächt des Wachmannes. Dieser war sich seiner Sache so sicher gewesen, dass er wimmernd auf die Seite viel. Er hatte keinerlei Chance gehabt diesen Angriff abzuwehren. So schnell ihre Kopfschmerzen es zuließen griff sie nach dem Waffengürtel und zog daraus das Schwert.
Der Wachmann lag noch immer zusammengekrümmt am Boden, mit einem hastigen Blick nach draußen, konnte Druswyn vermuten, dass niemand das Scheppern seiner Rüstung beim Aufprall gehört hatte. So griff sie nach dem Leinensack und schlitzte ihn mehr schlecht als recht mit dem Schwert auf. Grummelnd stellte sie dabei fest wie stumpf diese Klinge war.
In dem Sack befand sich ein Mann, welcher offensichtlich zusammengeschlagen wurde, bevor man ihn verschnürt und in diesen Sack gestopft hatte. Aber er schien wenigstens bei Bewusstsein zu sein. Wohl aus Mitleid befreite sie ihn von den restlichen Fesseln und nahm ihm den Knebel ab. Jede Bewegung bereitete ihm Schmerzen, dass sah Druswyn ihm deutlich an.
Doch hatte sie sich zu sehr mit dem Gefangenen beschäftigt, ein kräftiger Hieb in ihren Nacken ließ sie vornüber direkt auf den gerade befreiten sacken. Dieser konnte sich einen erneuten Schmerzenslaut kaum verkneifen. Auch Druswyn hatte vor Schreck glatt das Schwert fallen gelassen. Ein schmerzhafter Tritt in ihren Rücken ließ sie aufkeuchen.
„Das hast du dir wohl so gedacht!“, tönte der Wachmann wütend hinter ihr. Druswyn wandte sich herum, sodass sie nun auf dem Rücken lag und trat nach dem rechten Arm des Wachmannes. Das Messer, welches er in der Hand gehalten hatte, flog gefährlich nahe an ihrem Gesicht vorbei und blieb neben dem Gefangenen im Boden stecken.
Doch der Wachmann packte ihren Fuß und riss ihn herum, sodass man ein knacken hören konnte. Druswyn riss die Augen auf und Schrie, als sie spürte wie ihre Knochen zerbarsten. Tränen des Schmerzes schossen in ihre Augen, was ihren Blick stark einschränkte. Blind tastete sie nach dem Schwert, doch die Wache riss sie an ihrem Bein zurück, was ihr weitere Schmerzen bescherte.
Nur der Gefangene, welcher noch immer am Boden lag, vernahm das surren in der Luft, als der Pfeil sich seinen Weg geradewegs in den Hals des Wachmannes suchte. Sein über Jahre geschultes Gehör konnte dies vernehmen. Obwohl ihn alles schmerzte, griff er nun selbst nach dem Messer neben ihm und zog es aus dem Boden.
Die Wache gurgelte und spuckte Blut, als der Pfeil in seiner Lebensader versank. Nur wenig später tauchte ein weiterer Mensch in der Zelle auf. Er hatte eine Kapuze ins Gesicht gezogen und betrachtete die beiden noch Lebenden.
„Ich bin Amdir. Helft mir, zwei Hobbits aus den Fängen der Schwarzwolds zu befreien… ich helfe euch, hier herauszukommen.“
Druswyn hievte sich mühsam wieder auf und presst die Lippen aufeinander, als sie den gebrochenen Fuß aufsetzen wollte. Amdir hielt ihr einen Wasserschlauch entgegen, welcher mit einer wohlriechenden Flüssigkeit gefüllt war.
„Trinkt dies, es wird eure Schmerzen lindern. Das muss reichen bis wir hier raus sind.“
Druswyn nickte und nahm ein paar Schlucke des Kräutersaftes. Auch der Gefangene erhielt etwas davon. Die meisten seiner Wunden waren zwar nur oberflächlich, aber es reichte dennoch um genügend Schmerzen bei jeder Bewegung zu verursachen. Mehr schlecht als recht waren die drei nun Kampfbereit und machten sich auf die zwei Hobbits aus den Fängen der Schwarzwolds zu befreien.
Der Wald
„Du wirst niemals wie dein Vater werden, Dru!“
Die junge Frau blickte finster drein. Ihr Pferd ging gemächlichen Schrittes über die Wiese. Neben ihr ritt ein weiterer Hauptmann. Zusammen hatten sie ihre Ausbildung absolviert.
„Warum gehst du noch immer davon aus, dass ich so werden will, Richard?“, entgegnete Druswyn, ohne ihn dabei anzublicken. Ihre Aufmerksamkeit lag ganz bei dem Pfad vor ihnen.
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, als die beiden Hauptmänner mit ihren Pferden über die Wiesen von Thal spazierten. Sie waren, wie so oft, auf dem Weg zum Fluss. Dort konnte man in aller Seelenruhe etwas trainieren, ohne das man allzu viele Schaulustige dabei hatte. Druswyn und Richard pflegten ihre Kampftaktiken nicht jedermann offen zu legen.
Das Fell von Druswyns Pferd war mit Kakaobraunen Flecken übersäht. Es war nicht so ein reinrassiges Pferd wie der weiße Schimmel Richards, aber es reichte ihr. Ihre Mutter hatte all das Ersparte geopfert, damit ihre Tochter diese Ausbildung genießen konnte.
„Warum wohl zieht eine so hübsche Frau wie du in die Schlacht? Ich weiß, dass er dein Vorbild ist!“, grinsend griff er in die Zügel von Druswyns Pferd und sorgte dafür, dass es stehen blieb. „He, schau mich an, wenn ich mit dir rede!“
Druswyn blickte mürrisch in Richards Gesicht. Er war einer jener blonden Frauenhelden, welche mit lockigem Haar und einem schelmischen Grinsen die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Auch hatte er es zu einem erfolgreichen und ansehnlichen Hauptmann geschafft. Es gab kaum jemanden in Thal, der ihn nicht kannte.
Neben ihm wirkte Druswyn immer nur wie ein verblasster Stern. Es war nicht einfach, sich als Frau durchzusetzen. Noch dazu war ihr Vater vor langer Zeit verstorben. Gerüchte weisen darauf hin, dass er Opfer einer Räuberbande geworden wäre. Ein nicht gerade ehrenhafter Tod.
„Du weißt, warum ich das tue…“, Druswyn schüttelte den Kopf und seufzte. Ja, es war das Bedürfnis nach Rache. Eines Tages würde sie diese Banditen ausfindig machen und zur Strecke bringen. Aber auch die Sorge um ihre kranke Mutter hatte sie oft genug angespornt. Als Hauptmann konnte man durchaus Ansehen und Geld gewinnen. Vielleicht konnte sie ein Heilmittel für ihre Mutter finden. Wenigstens ein Heilkundiger… niemand wusste wirklich, an was ihre Mutter erkrankt war.
Richard machte eine wegwerfende Handbewegung. „Immer noch auf der Suche nach Vergeltung? Das ist jetzt fast zehn Jahre her, Dru…“, richtig Druswyn war damals noch ein Kind.
„Was verstehst du schon davon?“, genervt wollte sie ihm die Zügel wieder aus der Hand reißen. Richard kam ihr jedoch zuvor und packte ihre Hände. Etwas verdutzt blickte sie ihm nun doch direkt in die grünen Augen.
Er lächelte sie an: „Ich verstehe davon eine Menge…“, säuselte er und zog sie näher an sich heran. Druswyns Herz klopfte so stark, dass sie es spürte. Eine Mischung aus Angst und Scham regte sich in ihr. Es kam, wie sie vermutete… Wenige Augenblicke später spürte sie seine Lippen auf den ihren. Zwei Herzschläge zögerte sie noch, dann ließ sie es einfach geschehen und schloss ihre blauen Augen…
Ein Lachen ließ Druswyn wieder erwachen. Es dauerte eine Weile, bis sie realisierte, dass sie sich in einem Wald befand. Erschrocken stellte sie fest, dass sich ihre Hände in denen eines Mannes befanden. Aber es war nicht Richard.
„Mich würde jetzt ja interessieren, was du geträumt hast…“, hörte sie den Mann, welcher mit seinem Gesicht ziemlich nah an dem ihren war. Druswyn stieß ihn von sich und setzte sich auf. Da war er wieder, der Schmerz in ihrem Kopf. Auch ihren gebrochenen Fuß spürte sie wieder. Ein Blick darauf brachte auch die Erinnerungen an die letzte Nacht zurück.
Sie hatten sich durch das Lager der Schwarzwolds geschlagen und diese beiden Hobbits befreit. Druswyn blickte sich um, als sie ihren Kopf hielt. Die Hobbits hatten in dem Wald scheinbar etwas Essbares gefunden, denn sie kochten gerade irgendeine Kräutersuppe über einem kleinen Feuer.
Andromos, so hatte er sich vorgestellt, erhob sich nun auch und ging zu dem in Decken gewickelten Amdir. Richtig, Druswyn erinnerte sich wieder. Amdir hatte gestern Nacht eine Auseinandersetzung mit einem Nazgûl, welche ihn fast sein Leben gekostet hätte.
Druswyn wunderte sich etwas, dass Andromos schon wieder so gut auf den Beinen war. Aber er war vermutlich genauso ein guter Schauspieler, was die Schmerzen betraf wie sie selbst. Während die beiden Halblinge keinerlei Verletzungen davongetragen hatten, waren die drei Menschen mehr mit Glück als Verstand davongekommen.
Ein Geräusch im Wald gewann Andromos’ Aufmerksamkeit. Er blieb zwar bei Amdir sitzen, lauschte aber und suchte die Gegend mit seinen Augen ab. Der Wald war nicht gerade die beste Umgebung für einen Schurken wie ihn. Stadtgeräusche konnte er eher einordnen.
Druswyn nahm gerade wieder ein paar Schlucke des Schmerzlindernden Gebräus aus Amdirs Wasserschlauch, als etwas durch das Gestrüpp brach. Sichtlich überrascht viel Andromos hintenüber, als der hässliche Ork ihn ansprang. Geistesgegenwärtig griff Druswyn zu dem Zweihänder, welchen sie letzte Nacht im Lager der Schwarzwolds ergattern konnte.
Die Hobbits reagierten unterschiedlich. Während der Mürrische Beutlin-Abkömmling sich hinter Amdir in Deckung brachte, griff die tapfere Hobbit-Dame nach einem Holzscheit ihres Lagerfeuers, um sich dem nächsten Ork kampfbereit entgegen zu stellen.
Druswyn zählte ein halbes Dutzend Orks, welche das kleine Lager umzingelt hatten. Bereits als sie sich erhob, konnte sie einen mit ihrer Waffe von den Füßen heben. Es war also nur noch eine Handvoll, als sie den Hobbits zur Hilfe kam.
Andromos’ Stärke war der Hinterhalt, nicht eine direkte Konfrontation mit dem Feind. Der Ork bohrte trotz dem Versuch des Menschen, auszuweichen, seinen rostigen Säbel in dessen Schulter. Mit einem wütenden Schrei stieß Andromos den Ork mit seinen Füßen von sich. Der Säbel blieb in seiner Schulter stecken.
Mehr schlecht als recht drehte der Mensch sich herum und versuchte dem Ork davon zu kriechen.
Druswyn hingegen war im Kampfesrausch. Jeder tote Ork bestärkte sie nur noch mehr in ihrer Handlung. Sie brüllte den Grünlingen ihren ganzen Kampfeswillen entgegen und tötete diese dann mit ein paar gezielten Schlägen. Mit einem Furcht einflößendem Kampfschrei sorgte sie dann letztendlich dafür, dass der nun unbewaffnete Ork für eine Sekunde von Andromos abließ. Mit erhobenem Zweihänder und ein paar großen Sätzen sprang sie auf diesen zu.
Der Ork schien tatsächlich über eine Flucht nachzudenken, seine Kameraden waren tot. Einer von den Orks brannte lichterloh auf dem Lagerfeuer der kleinen Gemeinschaft, überall war das dunkle Orkblut zu sehen. War es Dummheit oder gab es doch noch Orks, die etwas mehr Mumm in den Knochen hatten?
Der Ork grinste Druswyn mit seinem Gebiss aus scharfen und schiefen Zähnen an, als er zwischen seiner schäbigen Rüstung ein scharfkantiges, gezacktes Messer hervorholte. Er hob schnell den Arm, um mit dem Messer auf Andromos zu werfen. Druswyn sah dies und wusste sie würde nicht rechtzeitig dafür sorgen können, dass dieses Messer die Hand des Orks verließ.
So sprang die Hauptmännin in die Wurfbahn des Messers und tat es dem Ork gleich. Sie warf ihren Zweihänder nach der hässlichen Kreatur, während sie Andromos mit nichts als sich selbst schützte.
Mit einem erschrockenen Schrei sah sie das Messer noch auf ihr Gesicht zufliegen, bis die Wucht des Messers und der Schmerz sie zu Boden warfen. Andromos rollte sich zur Seite, um nicht von der fallenden Menschenfrau erschlagen zu werden. Er konnte sehen, wie der Ork fast zweiteilig zu Boden ging. Die lange Klinge von Druswyns Zweihänder hatte sich komplett durch ihn gebohrt.
Mit Hilfe der Hobbitfrau konnte Andromos sich dann auch von dem Säbel des Orks befreien. Erst dann gelang es ihm, sich aufzusetzen und zu Druswyn zu krabbeln. Er fühlte sich fast schlecht, als er das Gesicht von ihr betrachtete. Aber das verbarg er hinter seiner Maske aus Gleichgültigkeit, welche ihm als Schurke schon oft geholfen hatte.
Das Messer hatte knapp das Auge Druswyns verfehlt, ihre Wange war komplett aufgerissen und Andromos glaubte sogar schon etwas von ihrem Wangenknochen sehen zu können. Natürlich blutete die Wunde stark und die junge Frau war nicht bei Bewusstsein.
Es würde einen weiteren Tag brauchen, bis die kleine Gruppe wieder reisebereit war. Bisher hatte Druswyn den Waldläufer Amdir getragen. Beide wären unmöglich zu transportieren. Also musste Andromos wieder auf die Kräuterkenntnis der Halblinge setzen. Sie würden sich auch um seine Schulter kümmern. Zuerst aber musste dieses Feuer aus. Es verriet sie nur und wer wusste schon was sie noch anlocken würden…
Verrat
„Warum?“, mehr brachte Druswyn kaum heraus. Ihre Stimme war heiser und sie spürte den Schwerthieb in ihrer Seite noch immer deutlich. Blut sickerte zwischen ihren Fingern hindurch. Ihre Hand war auf die Seite gepresst.
Es brannte. Der Geruch von Menschenfleisch raubte ihr fast den Atem. Das flackern der Flammen zeichnete sich auf den Gesichtern ab. Sie sank auf die Knie, hob den Kopf aber erneut an, um in Richards eiskaltes Gesicht blicken zu können. Zorn und Verzweiflung durchfluteten sie. War sie wirklich so eine Närrin gewesen?
Der Hauptmann hielt das Schwert, dessen Klinge mit Druswyns Blut beschmiert war, lässig in der Hand. In der anderen hielt er eine Fackel, mit der er unzählige Hütten angezündet hatte. Das ganze Dorf brannte lichterloh. Druswyn begann zu husten, noch immer auf eine Antwort wartend.
„Du hast es noch immer nicht verstanden, was?“, jetzt lachte Richard. Hinter ihm konnte Druswyn Schemen erkennen. Es waren die Krieger, welche unter Richards Kommando standen. Sie plünderten die Häuser und ermordeten die anderen Überlebenden.
„Schon dein Vater war ein Narr… du bist seinen Fußstapfen gut gefolgt. Druswyn. Aber niemand stellt sich mir in den Weg. Auch nicht du.“, er ging näher an sie heran, legte die Klinge seines Schwertes an ihren Hals.
Warum nur war sie so dumm gewesen ihm zu glauben? Druswyn war sich nun sicher. Richard hatte ihren Vater getötet. Richard verdiente sein Geld als schmutziger Söldner. Er führte eine eigene Räuberbande, um die Menschen von Thal in Angst und Schrecken zu versetzen.
„Ich gebe dir noch eine Chance, Dru. Komm mit mir…“, konnte sie da etwa Wehmut in seiner stimme hören? Nein, dieses Mal würde sie nicht wieder auf ihn hereinfallen. Ihre ganze Beziehung war eine Lüge. Er hatte sie schamlos ausgenutzt. Das würde ihr nie wieder passieren… kein Mann würde sie je wieder so an der Nase herumführen.
„Töte mich.“, antwortete sie heiser. Der Rauch des Feuers hatte ihre Kehle trocken gemacht. Sie ließ ihren Kopf wieder hängen, es war anstrengend Richard die ganze Zeit anzusehen. Dieser zog das Schwert zurück, wohl um auszuholen, ihr den Kopf abzuschlagen. Irgendetwas. Druswyn schloss die Augen und bereitete sich auf ihr Ende vor.
Doch da kam nichts. Nach vielen endlosen Augenblicken öffnete Druswyn wieder die Augen und blickte sich um. Richard war verschwunden. Es war in der Ferne ein Horn zu vernehmen. Druswyn versuchte aufzustehen, aber die Wunde war tief. Würde sie nicht daran verbluten, würde sie an dem Rauch des Feuers ersticken oder selbst verbrennen.
Mit ihrer letzten Kraft versuchte sie nun also aus dem brennenden Dorf zu gelangen… bis eine wohlige Schwärze sie umschloss…
Druswyn spürte eine Hand auf ihrer Wange. Noch bevor sie die Augen öffnete, schlug sie mit geöffneter Hand nach der Person, welche offensichtlich über ihr war. Mit einem ziemlich gereizten Blick betrachtete sie dann Andromos, welcher sich die Wange hielt, die gerade eine knallrote Farbe annahm.
Druswyn tastete nach ihrer rechten Gesichtshälfte, die mit einem Verband umwickelt war. Es schmerzte bei Berührung. Strafend schaute sie den Schurken an. Was auch immer er schon wieder mit ihr getrieben hatte, während sie schlief… er sollte sich in Acht nehmen. Dies zeigte sie ihm auch unmissverständlich mit ihrem Blick, als sie sich erhob.
Seitdem Richard sie verraten hatte, begegnete sie jedem männlichen Wesen mit Wut und einer gehörigen Portion Vorsicht. Das Andromos offensichtlich ihre unruhigen Träume bemerkte, gefiel ihr daher umso weniger. Dieser äußerte sich bisher aber auch nicht dazu.
Ob sie wohl ein verschlossenes Buch für ihn blieb?