Die Vergangenheit vor Augen
Mit nachdenklichen Blick saß die Rothaarige vor einem der Kamine im tänzelnden Pony, in ihren Händen ein Krug den sie fest umklammert hielt. Wenngleich ihr Blick auch gen Flammen ging so schien sie ihren Schein nicht zu sehen, das sachte knistern des Feuers nicht zu hören. Man könnte annehmen das sie von ihrer Umgebung in diesem Moment nichts mit bekam.Vielmehr hing sie ihren Gedanken nach, Gedanken an einen früheren Zeitpunkt dieses Abends.
Wie so oft stand Laranell in der Taverne, besah sich das bunte Treiben. Auch wenn sie sich äußerlich nicht mehr von den meisten Gästen unterschied so war in ihr immer noch dieses Gefühl von früher, als sie noch nicht groß beachtet wurde. Lautes Stimmengewirr drang an ihr Ohr, mit scharfen Zungen aus unfreundlichen Mündern gesprochen. Neugierig wandte sie sich um, ein Streit in diesen Räumen war zwar wahrlich nichts ungewöhnliches aber doch des öfteren interessant oder auch nur amüsant. Doch das Bild das sich ihr dann darbot war in gewisser Weise ein neues, ein seltenes.
Zwei Männer die ein Mädchen, vielleicht 11 oder auch 12 Sommer alt, bedrängten. Nahe standen sie an ihr und als einer von ihnen das Handgelenk der Kleinen umgriff und jene laut aufschrie ging Laranell ohne groß über ihr Tun nachzudenken auf die Gruppe zu, um sogleich den einen Mann zur Rede zu stellen. Schnell war erklärt was denn deren Problem war, weshalb einer von ihnen die Kleine nach wie vor festhielt. Geklaut sollte sie haben, zumindest hatte sie es versucht und war von dem zweiten dabei gesehen und somit erwischt worden.
Laranell war sicherlich nicht naiv genug sodann dem kleinen Mädchen Glauben zu schenken, denn was sollten die Männer für einen Grund für solch Behauptung haben wenn nicht ein Körnchen Wahrheit darin steckte, zumal sie selbst nicht einmal fremden Männern zutraute sich an einem kleinen Mädchen grundlos abzureagieren. Doch erschienen ihr die Männer eher als ungemütliche Zeitgenossen, sie wäre nicht sie selbst gewesen hätte sie sich in diesen Moment nicht auf die Seite des Mädchens gestellt.
So tischte sie den beiden Herren eine Lügengeschichte auf, darüber dass sie die Kleine kannte die praktischerweise danach sogar Tante zu ihr sagte. In der darauffolgenden Diskussion behielt sie die Oberhand, schlagfertig war sie schon immer gewesen, dies wurde ihr auch hier zum Vorteil. Sie machte den beiden auf ihre “charmante” Art klar das sie ohnehin keine Beweise in der Hand hielten, das nichts geklaut wurde und das der alleinige Versuch nicht nach zu weisen wäre. So konnte die Kleine davon laufen als die beiden Herren ihr Augenmerk auf sie gerichtet hatten und so schaffte sie es auch das die beiden gingen, ohne weitere Worte außer ein paar Beleidigungen die an ihr abprallten, auch ohne die Drohung mit der Stadtwache wahr zu machen.
Später legte sie dem Mädchen noch nahe besser auf sich acht zu geben, vor allem auch vorsichtiger beim stehlen zu sein wenn sie dies schon tun musste und drückte ihr zwei Silberlinge in die Hand, denn viel Münzen trug sie selten bei sich wenn sie hier war. Doch würde es für einen warmen Eintopf und ein Brot am nächsten Tag reichen.
In mehreren kleinen Zügen leerte sie ihren Krug, schweigend machte sie sich auf den Weg nach draußen und wie von selbst führten ihre Schritte sie in Richtung Viertel. Mit einem seufzen ließ sie sich auf dem Brunnen davor nieder, den Blick gerade aus gerichtet, hinein in das Viertel das so lange Zeit ihr zu Hause war, da Viertel in dem auch die Kleine lebte - alleine.
So wie sie selbst vor einigen Jahren:
Sie sah sich vor ihrem inneren Auge als sie selbst so alt war. Ihr Vater war gestorben an dieser Krankheit die kein Heiler zu deuten wusste, die kein Mittel zu lindern wusste. Einen langen Kampf hatte sie mit angesehen, wie aus dem einst so stolzen Mann nur noch ein Schatten seiner selbst blieb, dünn, abgemagert. sein Gesicht eine eingefallene Fratze. Und doch hatte die kleine Laranell sich jeden Tag um ihn gekümmert, ihm Essen und Trinken an sein Bett gebracht, ihn schlussendlich sogar gefüttert als er zu schwach war selbst seine Hand an den Mund zu heben oder den Krug zu halten, auch versuchte sie stets die kleine Hütte in Ordnung zu halten, so wie ihr Vater dies früher tat, bevor er krank wurde. Des Abends war sie auf einem kleinen Schemel neben ihm gesessen und erzählte ihm Geschichten, sie erzählte ihm wie gut es ihr doch ginge, wie sie tagsüber mit den anderen Kindern spielte, wie sie lachten. Doch waren dies alles Lügen gewesen, die anderen Kinder beachteten sie nicht, wollten nichts mit ihr zu tun haben. Sie wurde stets gehänselt, ob ihrer viel zu kleinen Kleidung die vom Schmutz bedeckt war. Und doch fiel ihr jeden Abend wieder eine Geschichte ein die sie ihrem kranken Vater erzählen konnte, denn die Wahrheit wollte er sicherlich nicht hören und sie widerrum wollte sie ihm nicht erzählen. Er sollte sich keine Sorgen um sie machen, sie hatte Angst das ihn das noch kränker machen würde.
Eines Morgens war er einfach nicht mehr aufgewacht als sie mit einem Stück Brot und einem frischem Krug Wasser zu ihm kam, sogar ein paar Beeren hatte sie ihm zum Frühstück gesammelt doch der Kranke lag mit aschfahlem Gesicht in seinem Bett, die Augen verschlossen. So sehr sie den Körper auch rüttele und schüttelte so sehr sie schrie er öffnete sie nicht mehr und ihr wurde bewusst das er sie nie wieder öffnen würde, sie nie wieder ansehen und sein kleines Mädchen nennen würde. Laranell ließ den Krug fallen der auf dem Holzboden zerschellte und seinen Inhalt über selbigen vergoss, der Teller mit Brot und Beeren folgte kurz darauf. Die süßen roten Früchte kullerten über den ganzen Boden während das Brot seinen Weg unter das alte Bett fand. Dann war sie aus der kleinen Hütte gerannt, zu jung um das gesamte Ausmaß des Geschehenen zu verstehen, zu naiv um zu wissen was sie tun solle und so rannte und rannte sie einfach bis sie schließlich inmitten einer Wiese erschöpft zusammenbrach.
Einige Zeit, es mochten Stunden vielleicht auch Tage später sein, fand sie sich in Bree wieder. Früher war sie oft hier gewesen, mit ihrem Vater. Doch lag dies lange zurück und die Erinnerungen daran waren nur noch vage vorhanden. Viel mehr als der Markt war ihr nicht bekannt. Was wollte sie hier? In der großen Stadt, alleine? Niemand schenkte dem kleinen verdreckten Kind große Beachtung, außer am Markt, dort jagte man sie von einem der Stände weg wie einen räudigen Straßenköter ob der Sorge das sie dort etwas stehlen wollte.
So striff sie weiter durch die große Stadt, ohne Ziel vor Augen, ohne zu wissen was sie hier wollte. Zurück nach Hause? Nun daran dachte sie sicherlich nicht, weitere Verwandte gab es nicht, auch keine engen Freunden der Familie. Noch dazu lag dort der tote Körper ihres Vaters. Also würde sie sich hier umsehen, irgend etwas, so dachte sie, würde sich schon ergeben.
Auf ihrem Weg kam sie auch an dem Viertel wobei das einen weniger behaglichen Eindruck machte, schon von außen sah man die alten Fassaden der Häuser an denen der Zahn der Zeit nagte der die Fassade zum bröckeln brachte. Zwei junge Burschen, kaum älter als sie selbst gingen durch den kleinen Torbogen, ihre Kleidung war nicht so sauber und gepflegt wie die der anderen Bewohner der Stadt, ein jeder von ihren hatte einen Apfel in der Hand und der eine stieß den anderen an der Schulter an woraufhin man ihr Lachen hören konnte. Neugierig folgte die kleine Laranell ihnen in das Viertel hinein. Letztendlich war sie dort geblieben, eine sehr lange Zeit, wie lange genau vermochte sie nicht mehr zu sagen doch waren viele Jahre ins Land gezogen, viel war geschehen ehe sie eines Abend mit einem Mann zusammen stieß.
Sie wusste wie sie die ganzen Jahre verbrachte, sie wusste was sie alles erlebte und sie wusste das sie selbst der Kleinen nicht helfen konnte, nicht alleine und nicht aus eigener Kraft heraus.
Ebenso war ihr klar das dieses Mädchen nur eines von vielen war, warum also sollte ausgerechnet ihr geholfen werden wenn doch so viel andere ebenso dieser Hilfe bedürfen? Sie konnte weder allen helfen noch andere dazu bringen dies zu tun. Sie konnte die Welt nicht verändern. So musste sie nur hoffen dass die Kleine irgendwann ebenso viel Glück haben würde wie sie selbst, bestenfalls sollten bis dahin nicht so viele Jahre ins Land ziehen. Doch würde sie ein Auge auf sie haben.